Abhängigkeit und Befreiung
Dass sich aus dieser Konstellation ein intensiver, geradezu erschütternder Abend über das Entstehen von Abhängigkeiten, über das Ausgeliefertsein und die Befreiung entwickelt, liegt daran, dass an hier nahezu alle Komponenten zusammenstimmen. Lisa Marie Damm hat ein nach hinten aufsteigendes Halbrund in die Werkstattbühne des Pfalztheaters gebaut. Dieses scheint im ersten Teil auf Streben wie auf antiken Säulen zu ruhen und wird bei „Through his Teeth“ von einem Vorhang abgeschlossen. Auf dem davor entstehenden Halbkreis erscheinen die Figuren schutzlos auf dem Präsentierteller, wie bei Gladiatorenkämpfen. Für Tancredi und Clorinda hat Helen Maria Boomes Kampfanzüge entworfen, irgendwo zwischen Fernost und Science Fiction. Die übrigen Kostüme sind heutig, aber nie alltäglich und charakterisieren die Figuren klug.
Dynamische Rhythmik, viele Farbnuancen
Anton Legkii, zweiter Kapellmeister am Haus, gelingt es, sowohl Monteverdis sinnliche Rhetorik als auch Luke Bedfords dichte Kammer-Horror-Thrillermusik lebendig zu servieren. Die Musiker der Pfalzphilharmonie Kaiserslautern agieren in ungewöhnlicher Besetzung – zwei Violinen, Cello, Bass, Akkordeon, Harfe, Klarinette, Trompete, Schlagwerk (man spielt das Monteverdi-Kammerarrangement von Klaus Simon) – wie Solist:innen, die sich zur Session zusammengefunden haben. Die komplexe Rhythmik ist dynamisch fein austariert, der Farbnuancen sind nahezu unendlich viele und alles wirkt spontan und leidenschaftlich musiziert. Ähnlich begeisternd die Sängerdarsteller:innen: Zachary Wilson hat einen bildschönen, hellen und höhenstarken Bariton und spielt doch mühelos einen Macho (Tancredi) und ein Monster (Robert in „Through his Teeth“). Die junge Namhee Kim aus dem Opernstudio des Pfalztheaters ist eine außergewöhnliche Clorinda. Nicht nur, weil sie die überschaubare Anzahl an Noten der Partie mit ihrem klangschönen Sopran souverän beherrscht. Sondern auch, weil sie die absurde Handlung durch ihr Spiel beglaubigt. Dem Geliebten im Kampf nahe sein, ohne politische Grenzen überwinden zu müssen, die nicht aushaltbar sind. Sich hingeben – und sich dabei vollkommen verlieren. Das spielt Namhee Kim berührend aus, mit, in jeder Beziehung, großer Hingabe. Marie Seidler ist eine souveräne Erzählerin bei Monteverdi. Bei Bedford ist sie Talkmasterin, Schwester und zweites Opfer. Alle Figuren setzt sie, mit gewaltiger Bühnenpräsenz, spielerisch voneinander ab, artikuliert makellos und gestaltet musikalisch hinreißend mit klangschönem Mezzosopran. Schließlich Siri Karoline Thornhill als „A“, die zentrale Figur von „Through his Teeth“, als tragisches Missbrauchsopfer. Lange merkt sie nicht, was mit ihr geschieht. Sie wähnt sich geliebt, gebraucht, aus der Einsamkeit gerissen, freut sich am neuen Lebenssinn. Während ihr „Partner“ dabei ist, ihre Persönlichkeit zu vereinnahmen und auszulöschen. Thornhill, die auch schon an der hervorragenden CD-Aufnahme der Oper mitgewirkt hat, singt und spielt das vor allem bemerkenswert uneitel. Die Stimme darf auch mal flackern, die Hilflosigkeit der immer stärker ausgelieferten Figur wird auch im Spiel fast schmerzlich deutlich.
Alle Komponenten zusammengeführt
Aileen Schneider hat für all das den inszenatorischen Rahmen geschaffen. Sie führt die Figuren klug und rationell, zeigt etwa Robert in jedem Moment als Verführer und Vergewaltiger, zeigt, wie all seine Liebenswürdigkeiten nur einem Zweck dienen, wie er dabei seine Besitzgier kaum beherrschen kann, so dass all seinen Bewegungen abstoßende (und doch momentweise auch faszinierende) Brutalität anhaftet. Warum, verdammt nochml, merkt A das nicht? Auch sucht die Regisseurin immer wieder produktiv den Weg in die Abstraktion, etwa im Spiel mit weißer und roter Farbe oder den fast tänzerisch ritualisierten Kampfchoreografien im „Combattimeto“. Bemerkenswert auch die Capriolen mit dem ferngesteuerten Auto und den Filmbildern in „Through his Teeth“. Verzichtbar dagegen erscheinen die Fernsehrealismus-Versatzstücke, wie die häufigen Schuhwechsel der Hauptfigur oder die Bebilderung des Showdowns mit Verhaftung des Übeltäters am Flughafen. Hier hätte Schneider der Musik und ihren fantastischen Darsteller:innen mehr vertrauen dürfen.
Was nichts daran ändert, dass hier ein außergewöhnlicher Opernabend gelungen ist, der auch in größeren Städten sein Publikum finden würde.