Foto: Ein Irrenhaus im Kirchenschiff. Ensembleszene aus dem "Feurigen Engel". In der Mitte Susan Maclean (Äbtissin). © Hans-Jörg Michel
Text:Andreas Falentin, am 14. Juni 2015
In den vergangenen Jahren hat der Regisseur Immo Karaman eine Art magischen Realismus für die Opernbühne entwickelt. Er verzahnt scheinbar verrückte, Libretto und Musik abgelauschte Einzelheiten zu Traumbildern und verwebt diese zu außergewöhnlich dichter Atmosphäre. Zudem zeichnen sich Karamans Inszenierungen durch die, stets in enger Zusammenarbeit mit dem Choreographen Fabian Posca entwickelte, detailgenaue und schlüssige Führung von Solisten, Choristen und Statisten aus. So wurde sein Britten-Zyklus zum Ereignis der Intendanz Christoph Meyer an der Rheinoper.
Auch beim „Feurigen Engel“ gehen Karaman und Posca nach ihrer Methode vor. Zunächst verorten sie das Geschehen in einem geschlossenen Raum, einem stark stilisierten gotischen Kirchenschiff mit schrägen Wänden, das ständig die Tiefe und Innenausstattung wechselt und so problemlos als Kloster, Hotelzimmer oder Ballsaal fungiert, ohne dass die Inszenierung Gefahr läuft, in die Realismus-Falle zu tappen. Poscas Kostüme deuten in Details Entstehungs- und Jetzt-Zeit an, verweisen aber nie auf das 16. Jahrhundert, in dem das krude Geschehen um Wahn, Mystizismus und Liebe eigentlich angesiedelt ist.
Das Regieteam scheut vor drastischen Bildern bis hin zum suggestiv angedeuteten, allerdings mehrfach gebrochenen Kannibalismus nicht zurück. Wie auf Schienen gleiten die Figuren durch absurde Bildwelten, die den Zuschauer gleichzeitig fesseln und verwirren. Zu viele lose Enden hängen heraus, zu viele Realitätsebenen scheinen zu dicht übereinander zu liegen, zu bruchstück- und sprunghaft erscheint die Erzählweise. Dennoch vermittelt sich diese streng katholische amour fou zwischen Renata und Ruprecht, entsteht ein dichtes, postmodernes Mysterienspiel. Und die Schlussszene bietet Aufklärung an: Ruprecht sitzt allein, offensichtlich nicht bei sich, im großen Sanatoriumsraum. Renata erscheint, erstmals überhaupt in Nonnentracht und legt ihm die Hand auf die Schulter. Er strahlt sie irre an. Alles Phantasien eines psychisch kranken Verliebten? Das mag ein wenig einfach erscheinen für dieses wilde, rätselhafte Stück. Wirkungsvoll ist es.
Musikalisch ist dieser „Feurige Engel“ in jedem Fall eine Sternstunde der Rheinoper. Zwar halten sich die Düsseldorfer Symphoniker zu Beginn, zumal im zweiten Akt, zu lange im höchsten dynamischen Bereich auf, gestalten aber mit ihrem Dirigenten Wen-Pin Chien durchgängig eindrucksvoll die Einzigartigkeit dieser stark der Neuen Sachlichkeit verpflichteten Partitur, die die Figuren denunziert, ironisiert, um sie dann wieder in den Arm zu nehmen, in der es ständig hämmert, oft unangenehm, aber nur scheinbar monoton, in der der Streicherteppich mal als Stimme des Wahnsinns, mal als Zufluchtsort der Protagonistin fungiert. Vollends geglückt die beiden letzten Akte, auch wegen des auf höchstem Niveau singenden Damenchors. Hier ist alles Drama, nichts nur Druck. Mit zwei Ausnahmen kann die Rheinoper das Riesenstück aus dem Haus besetzen. Die rollenerfahrene Svetlana Sozdateleva und Jens Larsen als „Exorzist“ beeindrucken durch Stimmkraft, Präsenz und Musikalität, werden aber an diesem Abend noch übertroffen von den Düsseldorfer Ensembleveteranen Sergej Khomov (Agrippa und Mephisto) und vor allem Boris Statsenko (Ruprecht). Beider Stimmen ist ein wenig Altersschorf anzuhören. Aber beide singen und spielen mit überwältigender Intensität und Gestaltungskraft und ragen so, wie Florian Simson und Torben Jürgens in kleineren Rollen, aus einem geschlossenen Ensemble noch heraus.