Da in Gelsenkirchen jetzt also jede Menge Personal auf der Bühne unterwegs ist und natürlich die Abstandsregeln eingehalten werden müssen, ist das Gegenteil von Konzentration das logische Ergebnis: Rebekka Dornhege Reyes‘ karges Bühnenbild öffnet den ganzen Bühnenraum bis weit nach hinten, an den Seiten sind Tribünen aufgebaut, auf die abwechselnd die Sänger*innen und Tänzer*innen klettern, zudem wuseln noch schwarz vermummte Puppenspieler*innen durchs Geschehen, die Gliederpuppen bewegen, wie sie für Proportions- und Bewegungsstudien im Kunststudium verwendet werden.
Für Konzept und Choreografie zeichnet der ambitionierte Ballettchef des MiR Giuseppe Spota verantwortlich und bereits in den ersten Momenten wird deutlich, dass er und seine Compagnie den Abend dominieren und der eigentlichen Regisseurin Rahel Thiel wenig Gestaltungsspielraum bleibt. Denn schon vor Beginn tummelt sich die Compagnie auf der Bühne zum warming up in seltsamen schwarzen Latex-Kostümen, dann klettern sie auf die Bühne und lärmen zu den ersten, nur zaghaft angestimmten Takten der berühmten Fanfare von den Tribünen mit Klatschen und Bravo-Rufen, als die Sängerschar einmarschiert. Derweil hat Werner Ehrhardt im Graben seinen Posten bezogen und muss nun das mit historischen Instrumenten besetzte Orchester wieder und wieder durch die Fanfare leiten, gefühlt mindestens drei Mal mehr als bekömmlich. Dann kommt Orfeo auf die Bühne mit einer der Puppen, platziert sie links außen. Dann wieder die Fanfare. Es dauert viel zu lange, bis endlich La Musica (Alfia Kamalova) ihren Prolog anstimmt und das mythologische Geschehen seinen Lauf nimmt. Immer wieder werden im Verlauf die Handlung und damit auch Monteverdis zügig voranschreitende Musikspur unterbrochen, was die Sache zäh macht und den Abend mit einer überflüssigen Pause auf knapp 150 Minuten hochjazzt.
Die immer wieder das Bühnengeschehen dominierenden Choreografien machen die Sängerinnen und Sänger unfreiwillig zu Statisten, was noch zu akzeptieren wäre, wenn die Tanzpassagen eine erhellende Ebene beisteuern oder wenigstens eine Geschichte erzählen würden. Aber es bleibt bei mitunter wildem Ausdruckstanz, der weder dem archaischen Gestus der Musik, noch ihrer musikantischen Rhythmik, geschweige denn ihrer Empfindungstiefe gerecht wird. Zumal die musikalische Seite des Abends sich nicht wirklich bündelt, was vor allem an den weiten Abständen, aber auch an Werner Ehrhardts defensiven Tempi liegt. Den vielen Ensembles der Nymphen und Schäfer mangelt es wegen der Distanz ihrer Aufstellung an Präzision, Biss und rhythmischer Prägnanz, sodass viele Passagen weich und irgendwie verwaschen klingen. Bei den Solisten herrscht unterschiedliche Kenntnis des frühbarocken Idioms, Khanyiso Gwenxane ist in der Titelpartie – die wegen ihrer tiefen Tessitura gelegentlich auch von Baritönen übernommen wird – darstellerisch überzeugend, da wo er präsent sein darf, sein heller und angenehm weich timbrierter Tenor klingt allerdings stellenweise unruhig und wenig fokussiert. Bele Kumberger hätte man als Euridice eine größere Partie gewünscht, heraus ragen außerdem Lina Hoffmann als Messagiera und Piotr Prochera als Apollo.
Fazit: Ein Abend, der seine Momente hat, aber zu viel will und sich im Gedrängel der Sparten verzettelt, statt auf die Substanz und Kraft der Vorlage zu vertrauen.