Foto: Ensemble des Staatstheaters Cottbus in "Król Roger" © Marlies Kross
Text:Roberto Becker, am 15. Mai 2022
„Król Roger“ gehört zu den ambitionierten Projekten des Intendanten Stefan Märki, das er nun allen Widrigkeiten der Zeit abgetrotzt hat. Die wohl bekannteste polnische Oper nicht weit von der Grenze zur Heimat des Komponisten auf den Spielplan des Cottbusser Staatstheaters zu setzten, ist nicht nur eine gute Idee. Es ist auch ein Wagnis: Weil dieses 1926 uraufgeführte Werk des Polen Karol Szymanowski (1882- 1937) zwar von Zeit zu Zeit auf den Spielplänen auftaucht – im schönsten Jugendstiltheater Deutschlands aber noch nie. Außerhalb Polens wird „König Roger“ zwar selten gespielt, aber wenn, dann jedes Mal mit einem Überraschungs- beziehungsweise Überwältigungseffekt für das Publikum! Das war bei der jüngsten musikalisch exquisiten ausgestatteten Premiere (zumindest bei den Besuchern, die sich nicht mehr abhalten ließen, in ihr Opernhaus zurückzukehren) auch nicht anders.
Szymanowskis Musik rauscht immer wieder ins Oratorische auf. Sie ist dem Handlungsverlauf ebenso verpflichtet wie dem Selbsterfahrungstrip des Titelhelden. Die Musik behauptet sich eigenständig neben dem von Richard Strauss geprägten Nachhall der Spätromantik, die in die Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts hineinragt. Generalmusikdirektor Alexander Merzyn und seinem Philharmonischen Staatsorchester gelingt es durchweg, in dem so suggestiven wie opulenten Sound auch das Exotische aufleuchten zu lassen und dabei dem erstklassigen Ensemble jedem Raum zu geben, um sich zu entfalten.
Dabei konnte sich Nils Stäfe als Roger grandios in Szene setzten und alle Facetten seiner Partie ausleuchten. Ebenso überzeugte Ketevan Chuntishvili als höhensichere, intensive Königin Roxana, Uwe Stickert als mit Worten und Charisma verführender Hirte sowie Alexey Sayapin als ein Edrisi zwischen stilisiertem Paladin und eloquent agierender Berater.
Eine Krise der Konsumgesellschaft
Das Libretto, das von Jaroslaw Iwaszkiewicz und Szymanowski selbst stammt, blendet die Bakchen des Euripides in das Reich des historischen, sizilianischen Königs Roger. In dessen bislang stabiler, orthodoxer Gesellschaft taucht plötzlich ein sendungsbewusster Hirte auf, der eine neuen Lehre des Hedonismus verkündet. Beim Cottbusser Team, der deutsch-japanische Regisseur Tomo Sugano, Julia Katharina Berndt (Bühne) und Carola Volles (Kostüme), trifft er auf eine kaufwütige Konsumgesellschaft, deren Einkaufstüten alle ein Logo der Marke Roger zieren. Einkaufen ist ihre Passion. Und der Kampf ums Schnäppchen das Salz in der Suppe.
Der stilisierte und anfangs wie ein Ausstellungsobjekt in einer Vitrine platzierte Berater Edrisi und der aus der Versenkung auftauchende König heben sich zwar von ihrem Volk ab, passen aber ästhetisch zu ihm. Das schlichte Weiß des Hirten und seiner vier tanzenden Begleiter kontrastiert dazu wie ein Schwarz-Weiß-Gegensatz. Der Hirte ist kein lässiger Verführer, eher eine Art Guru auf Werbetour. Die Chance, der Sublimierung der Homosexualität des Komponisten in seinem Werk nachzuspüren, übergeht Sugano nahezu komplett. Selbst ein Kuss, den der Hirt dem König aufdrückt, ist mehr Ritual als eine Tiefenlotung nach verborgenen Schichten der Geschichte.
Die Bühne ist zunächst ein holzgetäfelter Innenraum, der durch jede Menge Türen betreten und verlassen werden kann. Je mehr sich der Hirte mit seinen Ideen durchsetzt, umso mehr wird der Raum demontiert. Im dritten – dem „griechisch-römischen“ Akt, wie es heißt – ist der Raum völlig demoliert. Der Hirte wird hier zu einer Erscheinung. Als in den Gott Dionysos Verwandelter tritt er nur als Stimme in Erscheinung, die aus seinen Begleitern spricht. Wenn der König am Ende sein Herz der Sonne darbietet, tauchen aus der Versenkung vier Knaben mit nacktem Oberkörper auf. Rogers Selbstbefreiung bleibt so, alles in allem, höchstens eine Krise. Die in sich geschlossene Ästhetik der Inszenierung hat dennoch ihren Reiz und dem musikalisch mitreißenden Glanz dieser Produktion nimmt sie nichts von seiner Wirkung.