Foto: Zinnowitzer Schauspielstudenden im Ravenhill-Abend der Vorpommerschen Landesbühne © Krüger/Vorpommersche Landesbühne
Text:Jens Fischer, am 24. Februar 2014
Wer sind wo die Guten, wer gehört warum zu den Bösen? Täglich überfordern multimedial vermittelte Bedrohungsszenarien unser Fassungsvermögen. Horror-Bilder und Gruselfilm-Schilderungen all der fernen, virtuell nahen Kriege befeuern den Aufbau von Hysterie, Paranoia – und können eine vibrierend bereits vorhandene, stets ausbruchbereite Panik in blanken Hass verwandeln. Zum Beispiel gegen die Opfer der so genannten Kriege gegen den Terrorismus. Diesem alle Mittel heiligender Zweck erklärte Mark Ravenhill mit „shoot / get treasure / repeat“ den Krieg. Hinter dem missionarischen Eifer, die Welt mit den westlichen Vorstellungen von Demokratie zu beglücken, stünde das Prinzip der Computerspiele: sich den Weg freischießen, etwas Wertvolles an sich reißen – und das auf jedem neuen Level, in jedem neuen Land. Die Folgen dieser moralisch getarnten Gier für unser privates und politisches Leben hat Ravenhill recht komplex zu diversen Dramoletten, Monologen und Ehe-Duetten gestaltet, die das Publikum herausfordern sollen – und jetzt auch die zehn Eleven der Theaterakademie in Zinnowitz auf Usedom.
Die Inszenierung des 3. Studienjahres (der achtsemestrigen Ausbildung) gestaltete der 2013 neu berufene Leiter der Schauspielausbildung, Herbert Olschok. Ein im besten Sinn alter Hase. Als Regisseur, Darsteller, Schauspieldirektor und Dozent wurde er unter anderem bereits gesichtet in Rudolstadt, Gera, Rostock, Berlin, Chemnitz, Mailand, Dessau, Toronto, Neubrandenburg, Weimar, Leipzig und Schanghai. Ein versierter Anleiter, der Mut mit der Stückwahl beweist: Da die Produktion im Theater „Blechbüchse“ auch für die Ostseeurlauber auf dem Sommerspielplan der Vorpommerschen Landesbühne steht. Für sie arbeiten die Studenten vor, hinter und auf den Bühnen, weswegen sie keine Studiengebühren bezahlen müssen, sondern eine Ausbildungsvergütung erhalten. Olschok bietet ihnen nun eine ideale Präsentationsplattform, indem er Ravenhills Angebote zu diversen Spielformen nutzt – vor allem psychologische Erkundung, ästhetische Überformung und parodistische Verkörperung.
Überzeugend aus dem Geist höhnischen Widerspruchs schon die Eröffnungsszene. Wenn sich selbst erklärt rechtschaffende Bio-Fairtrade-Menschenfreundinnen empören, dass ihr Land, „die Guten“, von Selbstmordattentätern heimgesucht wird – ist das sinnfällig amüsant als Chor eitel stöckelnder Model-Zicken zu erleben. Und wenn selbstverliebte Artisten bei traumatisierten Kriegsopfern ihre Überlegenheit feiern wollen, indem sie Kunst-Workshops anbieten, wird das mit erfrischend satirischer Verve dargeboten. Überhaupt gelingen alle komödiantischen Darstellungsarten wirkungssicher. Aber Ravenhill will ja mehr.
Das Szenario (Bühne/Kostüme: Alexander Martynow) für das schlaglichtscharfe, pointierende Mosaik einer Gesellschaft zwischen aktueller Bedrohung, Alarmismus und Sehnsucht nach Gated Communties ist von kühl abstrakter Schlichtheit, offen für alles. Zwei Stellwände verengen oder weiten den Spielraum. Olschok hat nur eine Vorgabe: zwei Antriebe. Mal schreckt kakophonischer Lärm die Figuren auf, mal balsamieren harmonieselige Klangeinwürfe. Wachrütteln existenzieller Angstzustände durch den dauernden Kriegszustand da draußen – und alles da drinnen wieder in den Griff kriegen wollen. Darum kreisen die knappen Szenen. Die Sicherheit erstrebenden Abwehrmechanismen der gefährdeten, verletzten, umgetriebenen Seelen macht Ravenhill immer erstmal verständlich, um sie dann als exzessiv werdenden Wahn schwärzest humorig anzuprangern. Diese Doppelbödigkeit überfordert ab und an die jungen Darsteller. Sie pumpen massiv Gefühle in ihre Aktionen, ohne sie darstellerisch präzise zu gestalten. Statt widersprüchlicher Individuen sind manchmal ungebrochene Klischees zu erleben. Gerade die Männer verfallen in kraftmeierndes Mackertum beim Soldatenspielen und sind coole Rachedumpfbacken beim Foltern. Während eine Terroristin (Martha Pohla) wider den westlichen Lebensstil sowohl aggressiv todesengelig funkeln und heulendes Opfer brutaler Verhörmethoden sein kann. Zum Finale singen alle „God is in the house“, Nick Caves Spottlied übers Verbarrikadieren im Glauben an die eigene Wahrheit. Da müssen alle potenziellen Gefährder, alle Andersdenkenden draußen bleiben. Vielleicht sollten die Zinnowitzer mit ihrer Produktion eine Tournee durch die Schweiz planen…