Foto: Schlussquartett am Sarg (v.l.nr.): Isaac Tolley, Priya Pariyachart, Roman Poboinyi und Franziska Weber © Jan-Pieter Fuhr
Text:Andreas Falentin, am 23. März 2024
Kammeroper ohne Handlung: „C:\>title Labyrinth“ am Staatstheater Augsburg überzeugt durch die Verwendung von digitalen Theatertechniken. Die Musik von Hauke Berheide changiert zwischen Geräuschen und Melodie, die Themen reichen von Wasser bis Solidarität.
Es gibt keine Bühne und, im engeren Sinne, keine Handlung oder Geschichte. Trotzdem ist „C:\>title Labyrinth“ eine spannende Musiktheateraufführung. Das Publikum sitzt in der Mitte eines Kühlraums des ehemaligen Gaswerks auf Drehstühlen, eng gedrängt, trotzdem verloren in der kalten, hohen Halle. Die Musiker, Flöte und Posaune, Violine, Cello und Bass sowie zwei Perkussionisten, sitzen in den vier Ecken des Raumes. Einsen und Nullen laufen schnell an den Wänden und aufgestellten Betonplatten herab, Computerbefehle laufen ins Leere, gezeichnete Zifferblätter drehen sich schnell. Projektionen kommen dazu, etwa von Wasserflächen.
Das Publikum sitzt im Zentrum einer Ton- und Videoinstallation (Ausstattung: Belén Montoliú, Video: Christian Hill). In der Mitte der Zuschauer steht ein Sarg, dem „ich“ mit blauer Perücke und Hörnern entsteigt – ein klassischer Avatar. Wir sind offensichtlich in einem Computerspiel, wir verfolgen es sozusagen von innen, mit „ich“ als Identifikationsfigur. Die Musik von Hauke Berheide ist anfangs geräuschhaft, mit vielen ungehörten Klangfarben, die oft aus vom Komponisten selbst gebauten Instrumenten stammen.
Im Laufe des Spiels wird die Musik immer mehr zur Melodie, am Ende fast romantisch überformt. Man hört Wasser, es tropft und rinnt überall aus den analogen Instrumenten. „Drip Drop“ singt „ich“ immer wieder, offensichtlich sucht sie, in der Gestalt der Sopranistin Priya Pariyachart, nach einem Wassereinbruch im Computer. Ein Teil des Spiels kümmert sich um das Spielsystem – das ist fast romantische Ironie.
Wasser im Labyrinth
Auch die anderen Avatare, die nacheinander auftauchen, haben mit Wasser zu tun: der Polarforscher (Roman Poboinyi) aus dem frühen 20. Jahrhundert, der russische Bergmann (Isaac Tolley) aus dem 19. Jahrhundert, der einen Wassereinbruch befürchtet, die Maya Ah’men (Franziska Weber) aus dem 15. Jahrhundert. Ihr Volk braucht Wasser für seine Landwirtschaft, die zu schnell gewachsen ist, vielleicht ist es an diesem Wachstum gestorben.
So ist dieses Spiel auch Geschichtskritik, geißelt den Überfluss und den Umgang mit Ressourcen. Es ist auch eine Geschichte über das Leben, vom Auftauchen aus dem Sarg bis zum Tod, über unser Zusammenleben und Solidarität. Wenn sich erstmals zwei Avatare begegnen – „ich“ und der Polarforscher – dann musizieren sie gemeinsam mit Knochenflöten, die der Komponist selbst gebaut hat. Sie improvisieren und finden sich, die Flöte im Kammerorchester ergänzt und feiert diese Zusammenkunft. Von diesem Punkt an finden sich die Spieler nach und nach zum Quartett zusammen, singen nicht mehr allein.
VR-Brillen als Ruhepunkte
Vier Ruhepunkte gibt es im Spiel, viermal werden VR-Brillen aufgesetzt und es geht in ein Labyrinth, das sich verändert, immer enger wird, immer weniger Wege zulässt und am Ende überflutet wird. Es ist, als würde man einem System im eigenen Gehirn zuschauen, etwas Unmögliches, dass trotzden mit einfachen Bildern gezeigt wird. Die Andersartigkeit des Theatererlebnisses tut gut, entspannt geradezu. Formidabel ist die Synchronität von Bildern und Musik in diesen Sequenzen.
Stille und Solidarität
Am Ende wird der „Stillstand“ gefeiert, in dieser Matrix aus Inhalten und Themen geht es jetzt ausgerechnet – um Stille. Das Computersystem stirbt an dem Wassereinbruch. „Was tun?“ singt „ich“ am Sarg. Stille. Schluss? Nein, die Avatare wehren sich, singen ein gewaltiges, mitreißendes Quartett. Dann verlassen sie den Raum. Im letzten Moment fassen sie sich an den Händen und singen: „Halte deine Hand in meinen, dass wir nicht fürchten die Kraft uns’rer Hand“. Zum Schluss noch einmal Solidarität.
Der Komponist Hauke Berheide und die Regisseurin und Librettistin Amy Stebbins haben mit „C:\>title Labyrinth“ eine Art internen Wettbewerb ausgetragen, sich gegenseitig überboten mit ungewöhnlichen Reizen und Erzählformen. Die Musik ist flüssig, abwechslungs- und farbenreich. Das Spiel ist tänzerisch und zugewandt.
Das junge Sängerensemble erscheint perfekt aufeinander abgestimmt und zeigt sich den Anforderungen der Partitur – auch dem Spielen von selbstgebauten Instrumenten – mehr als gewachsen. Anna Malek, frei im Raum stehend, dirigiert sehr genau und schafft fast fröhlich Ordnung, wo es notwendig ist. Alles stimmt, alles passt zueinander. Einziger Makel: Dieses Projekt ist geschaffen für den Raum und die technischen Möglichkeiten des Staatstheaters Augsburg, es wird wahrscheinlich nicht anderswo zu erleben sein.