Foto: Ensemble in Thomas Bernhards "Freispruch" © Philine Hofmann
Text:Jörn Florian Fuchs, am 21. September 2020
Zuletzt machte man sich doch ein wenig Sorgen um Herbert Föttinger, den langgedienten Intendanten des Wiener Theaters in der Josefstadt. Die Corona-Restriktionen schlugen ihm derart aufs Gemüt, sodass er seine Verstimmung sehr grob und lauthals in allen nur greifbaren Medien kundtat. Mit hohem Blutdruck wütete Föttinger gegen die verständnislose Kulturpolitik und erklärte, man habe immerhin Claus Peymann im Haus, der mit den Füßen scharre, um endlich Thomas Bernhards „Der deutsche Mittagstisch“ zu inszenieren. Der Rest ist bekannt: Man spielt in Wien wieder Theater, auf der Bühne ohne Abstand, dafür im Saal mit den üblichen Sicherheitsregeln. Zum Auftakt also das Debüt des 83-Jährigen Ex-Burgtheaterchefs, der die Josefstadt früher gern als Schnarchbude bezeichnete.
Nun, verschnarcht war Peymanns Inszenierung keineswegs, allerdings merkte man das Füßescharren teilweise doch recht deutlich. In Bernhards siebenteiligem Dramolettenkranz (verfasst um 1980) kämpfen sich Politiker durch eine Jauchegrube, weil ein Quizmaster ihnen ebendort eine Wählerstimme verspricht, am titelgebenden Mittagstisch finden sich in der Suppe Hakenkreuznudeln, es wird über Türken geschimpft, am Strand national(sozial)istisch palavert.
Peymann zelebriert vor allem die schwächeren Teile wie ein Hochamt, findet aber auch immer wieder zu starken, erschütternden Bildern. Sensationell, wie das famose Ensemble um Michael König, Traute Hoess oder Lore Stefanek in der Szene „Freispruch“ die davongekommenen Menschenschlächter des Dritten Reichs mark- und hirnerschütternd auf den – grotesken – Punkt bringt, allein dafür lohnt sich der Abend. Und weil Achim Freyer eine wundersame, liebevolle Theater-auf-dem Theater-Landschaft kreiert hat, gekrönt von einem Thomas-Bernhard-Gesicht mit sowohl rot wie tot glühenden Augen…