Foto: Eine Szene, passend zum Aufführungsort: die Deutsche Oper Berlin eröffnete die Saison im Parkhaus beim Opernhaus, wo David Hermann Iannis Xenakis‘ „Oristeia“ inszenierte. © Bernd Uhlig
Text:Andreas Falentin, am 10. September 2014
Am Ende bricht alles zusammen. Da verschenkt der Regisseur David Hermann einen spannenden Musiktheaterabend mit einer veralbernden ironischen Akzentuierung. Der virtuos falsettierende Countertenor Michael Hofmeister kommt als Göttin Pallas Athene huldvoll winkend in der offenen Limousine herbeigefahren, gewandet wie weiland Hape Kerkeling als Königin Beatrix – und verteilt neongelbe Schülerlotsenwesten an den Chor. So werden nicht nur die Rache- zu Schutzgöttinnen, sondern Aischylos und Xennakis gleich mit domestiziert. Statt als gewichtiger Kommentar eines einmaligen gesellschaftlichen Wandlungsprozesses endet alles: klein.
Dabei spielte sogar das Wetter mit zur Premiere der „Oresteia“ auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Berlin (DOB). Spätsommerlich lind war es und trocken, die durch Windstille beförderten akustischen Verhältnisse eigenwillig und sehr attraktiv. Und der Chor der DOB präsentierte sich in ganz außergewöhnlicher Überform. Es wurde nicht nur hochmusikalisch und sehr expressiv gesungen. Gerade die Herren gewannen durch ihr facettenreiches Spiel fast solistisches Profil, obwohl sie durch Gesichts- und Ohrmaskierung als Schafherde zu erscheinen hatten. Ihr Staunen, ihre Angst, ihr Neid, ihre Schadenfreude berührte trotzdem und nahm gefangen.
Die „Oresteia“ ist durchaus ein problematisches Bühnenwerk. Iannis Xennakis hatte ursprünglich nur die Chorpassagen von Aischylos‘ Trilogie vertont (UA 1966), später kamen noch die Kassandra-Szene aus dem ersten und der Athene-Monolog aus dem dritten Teil dazu. Es wird also keine Geschichte erzählt. Gleichwohl wird deren Verständnis vorausgesetzt. Für dieses Problem fand Hermann eine grandiose Lösung. Er ließ die Paare Agamemnon/Klytämnestra und Elektra/Orest von Tänzern darstellen, deren Köpfe von riesigen, abstrakten Kaltschaumskulpturen verhüllt sind. Mit wenigen Bewegungen erzählen sie Begegnung und Beziehung. Dazu kommen großformatige Bilder. Kassandra schält sich in Gestalt des großartigen, zweilagig im Dialog mit sich selbst singenden Seth Carico als Schmerzensmann aus einer stilisierten Akanthus-Dolde. Der Mord an Agamemnon wird bestätigt, indem ein silbern glänzender Kleinbagger aus seiner Schaufel Steine und die Mordaxt auf die als Hauptbühne bespielte Treppe niederprasseln lässt, wo sie von Elektra zögernd, dann wirbelnd aufgenommen wird.
Dazu raunt die Musik mit sich in die Ohren fräsender archaischer Schärfe – es wird altgriechisch gesungen – und wechselt in spannendster Weise mehrfach die Grundfarbe; wenn Kassandra nur mit Percussion und grandios gespieltem Psalterion begleitet wird; wenn der Damenchor aus dem vierten Stock des Verwaltungstrakts singt; wenn zum Ende hin der ganz locker singende, von der Deutschen Oper selbst betreute Kinderchor durchs Publikum auftritt. Moritz Gnann waltet mit Strenge und Spielfreude über diese musikalischen Strukturen und führt das Orchester der DOB zu besonderer Prägnanz.
Wenn man es doch dabei belassen hätte!