Foto: Szene aus Franz Liszts Oper „Don Sanche“ in der Stadthalle Bayreuth © D_VAJ
Text:Jörn Florian Fuchs, am 8. Juli 2011
Ja ja, die Pubertät. Was man da nicht alles tut – zum Beispiel seltsame Liebesbriefe schreiben, oder noch merkwürdigere Gedichte. Manche machen auch Musik und wollen später davon in der Regel nichts mehr wissen. Der heuer 200jährige Franz Liszt hat im zarten Alter von 13 Lenzen seine erste und einzige Oper komponiert. Nach der Uraufführung in Paris unter den Fittichen seines Lehrers Ferdinando Paërs verschwand das Werk allmählich in den Tiefen der Musikgeschichte, und Liszt wandte sich überhaupt vom Musiktheater ab. Schließlich tauchte ja Richard Wagner auf, und dessen Gesamtkunstwerk(e) konnte und wollte Liszt nicht toppen. Lohnt es sich also nun, „Don Sanche ou Le chateau d’amour“ auszugraben oder sogar zu inszenieren?
Die Antwort fällt zwiespältig aus. Zum einen ist die Handlung und vor allem die Dramaturgie des Stücks problematisch, andererseits erregt Liszts frech-fröhliche Zitierweise (ohne Quellenangabe) Verstand und Herz. Zwar gerät vieles im zweiten Teil recht redundant, aber eine Fülle von Belcanto-Überraschungen, eindrucksvoll düster-schwere Orchesterbögen und die rasch nachsingbaren Liedvariationen vom Liebesschloss sorgen für Abwechslung. Statt einen eigenen Stil zu entwickeln, imitiert und zitiert sich Jung-Liszt munter durch die Musikgeschichte, es gluckst und mozartet, dann plötzlich glühen die Kehlen koloratös, während im Orchester die Hörner an ihre Grenzen kommen und sich die Streicher sämig durch Schmerz und Schmelz wuchten. Inwiefern übrigens Ferdinando Paër beim Erstellen dieser bunten Partitur behilflich war – und vielleicht auch der Uraufführungsdirigent Rodolphe Kreutzer – bleibt ungewiss. Ganz gewiss aber hat für die Bayreuther Premiere der österreichische Komponist Gerhard Krammer neue Rezitative geschrieben, die insgesamt recht elegant die einzelnen Nummern verbinden und sogar noch ein paar raue, heutige Töne einfließen lassen.
Und worum geht’s nun eigentlich beim „Don Sanche“? Die Antwort möchte man sich am liebsten verkneifen. Der frustrierte Magier Alidor baut sich ein Schloss, in das nur echt Verliebte eintreten dürfen. Ritter Don Sanche und seine Angebetete Elzire müssen leider draußen bleiben, was vor allem den Ritter in melancholische (Selbst)Zweifel stürzt. Alidor hat ein Einsehen, muss aber viel herum zaubern, bis sich Mann und Frau im Minnesang vereinen und das Liebesparadies betreten. Inszeniert hat dieses etwas wackelige Operngerüst Julia Glass, die als Referenz unter anderem den Besuch eines Meisterkurses bei Katharina Wagner angibt. Wagner wird im Programmheft außerdem als künstlerische Beraterin genannt. Weder Regisseurin noch künstlerische Beraterin kamen am Ende allerdings auf die Bühne, wobei es eigentlich wenig zu fürchten gab. Das Publikum war von der intensiven Inszenierung angetan. Glass erzählt die Geschichte eher handzahm, wobei die Hauptfiguren eine Tendenz ins Gebrochene besitzen. Das hohe Paar wirkt am Ende ziemlich unglücklich, puppenhaft erstarrt und von einem eigenartigen Huldigungschor umringt. Das Liebesschloss ist eine Art Jahrmarktsattraktion, die sehr unterschiedliche – auch gleichgeschlechtliche – Paare als Mutprobe ansehen. Zwei lemurenartige Tänzer in Lack und Leder sorgen für eine Prise kalter Erotik, auf naheliegende regietheatrale Albernheiten wird weitgehend verzichtet.
Bei den Sängern herrscht eine straffe Aufteilung: die Damen rund um Ana Maria Pinto als Elzire machen ihre Sache gut, die Herren enttäuschen durch die Bank. Auch das von Nicolaus Richter einstudierte Nordungarische Symphonieorchester spielt zeitweise an der Grenze des Ertragbaren und scheint sich ums Geschehen auf der Bühne ohnehin kaum zu scheren, es wackelt andauernd bei der Abstimmung mit den Sängern. Sehr ordentlich war dagegen der Staatsopernchor aus Košice. Die größte Enttäuschung fand freilich abseits von Bühne und Graben statt. In die große Bayreuther Stadthalle verirrten sich nur einige Handvoll Liszt-Enthusiasten.