Foto: Auf hoher See: Ensemble in "Das Blaue Wunder" © Sebastian Hoppe
Text:Hartmut Krug, am 27. Januar 2019
Sie werfen sich krachend gegen den herabgelassenen eisernen Vorhang, die Darsteller in der Dresdner Uraufführung von „Das Blaue Wunder“ (Regie: Volker Lösch). Dann erzählen sie dem Publikum von ihren schlechten Erfahrungen mit sich und der Welt: Ostler, Männer und Frauen, die sich als Wendeverlierer empfinden. Als der Vorhang hochgeht, preist von einem aus der Bühnentiefe bis hoch oben sich erhebenden Schiff, einer offenen dreilägigen Metallkonstruktion, die wohl an die Dresdner Elbbrücke „Blaues Wunder“ erinnern soll, eine blaugekleidete Frau ein Blaues Buch als die Rettung an: ein Erweckungsbuch für alle und für jeden allein. Kommt zu uns, schreit sie jahrmarkterisch und fängt die unzufriedenen Menschen ein. Es muss sich etwas ändern auch für sie, die „mit unseren Sachen in unserer Welt“ leben wollen. Was, wie auch in der Werbung der Frau deutlich gesagt wird, bedeutet: Andere, Fremde zumal, haben da keinen Platz.
Das Blaue Buch enthält viele Sprüche von Björn Höcke, aber auch von anderen AfD-Mitgliedern und liefert dem Abend immer wieder schlimme Zitate, mit denen das Schiff, das wie ein fliegender Holländer in offener Luft anmutet, seine Fahrt auf rechtem Kurs behält. Es sind verräterische Texte „mit unseren Sachen für unsere Welt“. Die jetzt in Blau gekleideten Rechten sind keine Monster, doch wenn sie am Schluss verkünden, was sie, so sie im Herbst gewählt werden, alles ändern werden, dann muss man doch schlucken. Aber auf dem Schiff breiten sich bald Gleichmacherei und Anpassungsdruck aus, und man belauert sich gegenseitig, als gäbe es eine Gedankenpolizei.
Lösch baut sein Stück nicht mit soziologischen oder psychologischen Situationen auf, sondern mit grunddynamischen Szenen. Musik und Licht schaffen die Atmosphäre, und schnell herrscht Gewalt zwischen den zu einer selbstbestimmten Lebensweise aufgebrochenen Schiffern. Wer Ware hat, herrscht über andere, und die Menschen sind in unterschiedliche Klassen eingeteilt, als gäbe es eine totalitäre Partei. Die unterste Klasse beherbergt die arbeitenden Maschinenmenschen. Nichtdeutsche kommen zuerst in die Ankerkammer und werden später erschossen. Dafür gab es lange Schießübungen. Natürlich militarisieren sich die Menschen immer mehr. Aber immerhin wehren sich die Frauen dagegen, Sex zu haben, nur damit die Geburtenrate stimmt. Wenn Bootsflüchtige kommen, wird auf sie geschossen, aufgenommen wird keiner, wieder mit einem Zitat: Es seien ja nur 300 Meter schwimmend zu schaffen, was allerdings die Entfernung bis zum Meeresboden meint. Es gibt viele groteske, sketchartige Szenen und allerlei Eindeutigkeits-Typen, wenn auch einiges arg plakativ wirkt.
Aber zugleich entsteht auch eine Art Psychogramm der AfD. Und ein Bild von den Möglichkeiten, sich zu wehren. Dafür stehen immer wieder Aktivisten und Aktivistinnen zu kurzen Selbstdarstellungs-Statements im Scheinwerferlicht und bieten eine positive Gegendarstellung. Wunderbar sind die Auftritte vom Schauspieler Holger Hübner, der sich vor dem Eisernen, die Zeitschrift Spiegel in der Hand, über die Tatsache aufregt, dass in Heimen und Lagern gesoffen und sich geprügelt wird. Auch gab es sexuelle Belästigungen von Frauen. Manche Männer seien direkt aus dem Gefängnis auf der Flucht vor den Kosten für Alimente gekommen. 13.000 habe das im Jahr gekostet. Doch der Spiegel-Text stammt von 1990 und agitiert gegen die Übersiedler aus der DDR in den Westen. Als Gegenmodell gegen die Ausländerfeindlichkeit der AfD kommen schließlich nacheinander noch viele junge Menschen auf die Bühne, die ihre eigenen Wertvorstellungen einsetzen für ein Gegenmodell der Verhaltensmöglichkeiten. Und wenn ganz am Schluss ein riesiger Chor an Menschen, alles Aktivisten, die nicht in Uniformen kommen, sondern in je individueller Kleidung auch als ein Beispiel für Diversität und Offenheit stehen, dann ist auch dies ein starkes Statement eines kräftigen Abends.