Foto: Franziska Roth; Im Hintergrund: Stella
Goritzki, Jens Schnarre, Anke Fonferek, Elias
Baumann in "Wunsch und Wunder" in Memmingen © © Forster
Text:Manfred Jahnke, am 2. April 2022
Felicitas Zeller ist eine Autorin, die nicht nur genau zu den Themen ihrer Stücke recherchiert, sondern auch die Terminologie und die Syntax ihren Interviewpartner analysiert. In „Wunsch und Wunder“ komponiert sie eine Sprache, indem sie Sätze ineinander verschiebt: Eine Aussage wird begonnen, mittendrin unterbrochen und mit einer anderen Aussage fortgesetzt. So bildet sich in der Syntax der Sätze ab, wie heikel das Thema ist. Es geht um die Reproduktionsmedizin, die gottgleich Menschen schaffen kann aus eingefroren Eizellen oder von anonymen Samenspendern.
Dr. Flause ist ein Pionier dieser Kunst. In Katja von Schleich findet er eine Gegenspielerin, die, künstlich gezeugt, auf der Suche nach ihrem Vater ist. Nach vergeblichen telefonischen Versuchen schleicht sie sich in die Praxis ein. Ihr Ziel ist ein Spendenregister, in dem die Namen der „Väter“ notiert sind. Aber sie findet in Flause nicht wirklich einen Gegner. Weil er in ihr die Hände seines Vaters wieder findet, gibt er nicht nur zu, dass er seine Samen bei der Zeugung benutzt hat, sondern auch, dass sie 307 Halbgeschwister hat: So war das in der Frühzeit der Reproduktionsmedizin: den Ehepaaren, die sich jahrelang vergeblich bemüht hatten, Kinder zu bekommen, im Notfall auch mit den Samen des Operateurs zu versorgen.
Kunstvolle Künstlichkeit
Die sich in der Sprache widerspiegelnde Künstlichkeit ist auch Signum der Inszenierung von Magdalena Schönfeld am Landestheater Schwaben in Memmingen. Auf diese verweist schon der von Franziska Isensee geschaffene Bühnenraum: ein schmaler, nur nach vorne hin offener weißer Kasten, der die ganze Breite des Memminger Studios einnimmt und von acht Neonröhren in kaltes Licht getaucht wird. Zwei große Plüschtiere in Pastelltönen dominieren den Raum. Am Rande hockt darüber hinaus ein Rosaplüschhase, aus dem sich später Franziska Roth als Katja von Schleich herausschält.
Auch die Kostüme, ebenfalls von Franziska Isensee entworfen, haben die Farbe Weiß als Grundlage. Jede Figur hat dann unterschiedlich farbige Applikationen – Litzen, Krägen, vor allen Dingen aber Herzen. Magdalena Schönfeld nutzt den Raum intensiv: Da kann das Ensemble mit den Plüschtieren kuscheln, darin verschwinden oder sich zurückziehen. Zumal es die Bühne nicht verlassen kann (weil diese nur noch vorne offen ist). Dabei entwickelt sie ein künstliches Bewegungsrepertoire: Es wird mehr am Boden gekrabbelt, als aufrecht gegangen.
Bewundernswert, wie das Ensemble die schwierige Syntax der Sätze von Zeller meistert. Die muss genau durchschaut sein, um die dahintersteckenden Denkstrukturen offenzulegen: Da beweist Schönfeld ein gutes Ohr. Zugleich legt sie damit auch die Komik der absurden Situationen offen. Das Ensemble spielt mit hohem Tempo. Jens Schnarre stellt den Dr. Flause als jovialen Arzt vor, der mit seinen Händen am liebsten als Chirurg arbeitet. Ihm zu Seite steht Anke Fonferek als Dr. Bauer, die nachts durch die Kneipen zieht, um jemanden zu finden, mit dem sie ein Kind zeugen kann. Sie legt ihre Figur dabei mit leichtem Zynismus an, weil sie eigentlich in zwei Welten lebt – einmal privat mit ihrem natürlichen Kinderwunsch, zum anderen in der beruflichen Praxis des künstlichen Kinderwunsches. Elias Baumann spielt den Diplombiologen Schimmerle, der einem Menschen begegnet, der ihm total ähnlich ist – und sich damit abfindet. Stella Goritzki als Arzthelferin Neider, ungewollt schwanger, vertritt nicht nur auf Grund ihrer Vermittlerrolle zwischen Medizinern und Patientinnen handfest Realität einbringt.
Katja von Teich wird von Franziska Roth mit einer Mischung aus Trotz und Neugierde gespielt. Den Vater finden, politische Forderungen nach einem Spenderregister durchzusetzen, ist ihr Ernst. Doch am Ende, als sie die ganze Dimension der frühen Reproduktionsmedizin begreift, bleibt ihr nur das Staunen. Auf jeden Fall muss Flause – auch auf Druck von Dr. Bauer – seine Praxis übergeben, um sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sein Resümee: „…Kinder auf der Suche nach ihrem Vater, gibt es Schlimmeres?“ Das Memminger Ensemble versteht es, ernste Themen leicht zu erzählen. Kompliment!