Foto: "Othello" am Bochumer Schauspielhaus. Felix Rech (Jago), Matthias Redlhammer (Othello) © Thomas Aurin
Text:Bettina Weber, am 19. Januar 2014
Sie sind ein unerwartet ungleiches Paar: die junge, naiv liebende Desdemona der Friederike Becht und der lebenserfahrene Othello des Matthias Redlhammer. Gelassen, fast weise berichtet er von Krieg und Gewalt, wirkt überaus ruhig, als sei er in seinen Grundfesten nicht zu erschüttern. Im dunklen, verfallenen Schatten des Industriehallen-Bühnenbildes, das so viel Unheil verkündet (eindrücklich düster von Falko Herold), ist sein Wandel zum Rasenden zu Beginn kaum vorstellbar. Bis dann doch in bekannter Weise alles ganz anders kommt: Schwelende Unruhe wird zu rasender Eifersucht, Misstrauen wandelt sich in vermeintliche Gewissheit, Rachegelüste münden in das obligatorische Blutbad.
Vom Text ausgehend erwartet man den Othello anders: Dort untergräbt im Grunde bereits die Ablehnung durch Desdemonas Vater Othellos Selbstbewusstsein, bereitet den Intrigen Jagos einen fruchtbaren Boden. Dass er in dieser Inszenierung davon so völlig unbeeindruckt bleibt – der Umstand bleibt lediglich Randnotiz – könnte man als erschwerte Bedingung für das Unterfangen des Fähndrichs deuten. David Bösch aber hat der Titelfigur einen überaus dominanten Jago entgegengesetzt, der mühelos den starken Othello für seine Zwecke instrumentalisiert. Seine ungeheure Jagd regiert alle Entwicklungen, fesselt alle Aufmerksamkeit. Ihm scheint die Vergiftung seiner Umwelt so leicht zu fallen, als stoße er lediglich einen kleinen Dominostein an, der alles planmäßig zum Umsturz bringt. Dass er den anfänglich felsenhaften Othello erschüttert, zum geplagten Wahnsinnigen macht, ist bei dieser Gewichtung glaubwürdig. Jago ist Othellos Dämon.
Darüber hinaus scheint sich Bösch vor allem auf die Atmosphäre konzentriert zu haben, romantische Bilder setzt er als Kontrapunkt zur Desillusionierung der Liebenden. Teils sind diese Bilder wunderschön (Desdemonas Gesang im Schnee, kurz vor ihrem Tod), oft aber leider auch einfach bloß kitschig, manchmal schlicht überflüssig: Auf Weltraum-Videoprojektionen mit dem bedeutungsschweren und zaunpfahlwinkenden, blutigen Taschentuch Desdemonas hätte man als Zuschauer lieber verzichtet. Und in Jagos Siegestaumel kurzzeitig im Bühnenbild die satanistische 666 aufleuchten zu lassen – ein überflüssiger Gag.
Dieser Abend ist damit vor allem ein großartiger Schauspielerabend mit einer Besetzung, die auf das Grundpersonal konzentriert ist: Ein (im Übrigen nicht geschwärzter) Othello; weniger ein Außenseiter, dafür vor allem gnadenlos unterlegen, sensibel gespielt von Matthias Redlhammer. Eine zarte Desdemona, in der die gretchenhaft tapsende Friederike Becht die bloße Unschuld zeigt. Der volltrottelige Cassio Florian Langes, der ungestüm wild liebende Roderigo des Daniel Stock, die blind ins Unglück stiefelnde Emilia der Xenia Snagowski. Sie alle sind lediglich Marionetten für den großartig gewichtigen und überragenden Jago des Felix Rech, der raubtierartig um seine Opfer kreist. Emotionen werden vorgeführt, durchdrungen aber wird die Eifersucht nicht – sie bleibt als Motiv auf der Strecke, wenn alles sich um Jago dreht. Das blutige Ende besiegelt dieser mit roter Karnevalströte und einem Bier. Feierabend, bis zur nächsten Jagd.