Foto: Chor und Ensemble des Theaters für Niedersachsen Hildesheim in "Wie man Karriere macht, ohne sich anzustrengen" © Jochen Quast
Text:Andreas Berger, am 15. Januar 2023
Für Retro-Freunde ist Frank Loessers Musical „Wie man Karriere macht, ohne sich anzustrengen“ ein warmes Wannenbad: Uraufgeführt 1961 in New York erzählt es den wunderbaren Aufstieg eines cleveren, aber nicht eben arbeitswütigen Fensterputzers zum Aufsichtsratschef der „World Wide Wobbel Company“. Am Theater für Niedersachsen in Hildesheim zeigen Regisseur Matthias von Stegmann und Ausstatter Simon Lima Holdsworth diese Satire auf den amerikanischen Traum nun im 1-A-60er-Jahre-Outfit: Weibliche Glockenröcke, Rüschenblusen, Karos aller Arten und felsenfeste Dauerwellen treffen auf das Anzuggrau der Herren mit verschieden dicken Nadelstreifen.
Aber Holdsworth erlaubt sich auch überall das gewisse „too much“, damit’s Satire wird und lustvollen Schmerz an der Übertreibung auslöst. Am deutlichsten bei Hedy la Rue, der Geliebten des Konzernchefs, die mit kussmundübersätem Kleid auftritt. Ihren Abgang hat sie dann an der Hand des Aufsichtsratschefs und einem Kleid mit Dollarzeichen. Lucía Bernardas Cavallini fällt dazu immer wieder in verwegen-erotische Pose und geht so ihren eigenen Weg einer Karriere, ohne sich anzustrengen, zumindest nicht im Büro.
Amerika der alten Konzerne
Von Stegmann belässt das Stück auch räumlich in Amerika, wozu Holdsworth ein stimmungsvoll zwischen Abstraktion und Broadway-Charme schwankendes, sehr flexibles Bühnenbild entwirft: Es sind bühnenhohe Aktencontainer mit dem Reiter „Erfolg“, die gedreht zu Hochhäusern vor der filmreif im Abendlicht sich abhebenden Silhouette New Yorks werden. Ab und zu ein Schreibtisch von steigender Repräsentanz, ansonsten ist Platz zum Tanzen.
Da wirken in Leszek Kuligowskis nostalgischer Choreographie die Hildesheimer Musical-Company, der Opernchor und die Solisten perfekt zusammen. So entsteht gerade bei diesem Firmen-Musical ein familiäres Feeling auch für das Stadttheater, an dem eben solche spartenübergreifende Zusammenarbeit noch geschmeidig möglich ist. Da dirigiert denn der Generalmusikdirektor Florian Ziemen auch die Musical-Premiere, spielt das Opernrochester, sodass ein frischer, treibender Sound entsteht. Nur etwas zu laut ist die Sache ausgesteuert, zumindest fürs Parkett.
Ja, und dann läuten natürlich Harfenklänge aus dem romantischen Paradies, wenn unser Fensterputzer Finch bei Miss Hedys Kundrykuss an eine andere, an die brave, treue, ihm von Anfang an zugewandte Rosemary denkt. Und diesen Namen singt Louis Dietrich mit glockenhaftem Schall, später auch zum Heiratsantrag im Duett mit ihr. Bislang nämlich verlief seine Karriere gemäß dem zu Beginn als Fensterputzer gefundenen Buch „Wie man Karriere macht, ohne sich anzustrengen“ ganz ohne Erotik.
Von Stegmann versagt sich im Übrigen jede Aktualisierung, aber für Karrieren geeignet sind laut Buch ja nur Firmen, die groß genug sind, dass keiner so recht übersehen kann, was der andere macht. Es wäre kühn gewesen, die „World Wide Wobbel Company“ mit dem matrixhaften World Wide Web zu assoziieren, oder wenigstens mit ihren Global Playern Musk, Zuckerberg und Co? Vielleicht ist der kleinere Maßstab, den jeder nun aus eigener Berufspraxis wiedererkennen kann, sogar wirkungsvoller. Denn diese Mischung aus Innovationsverweigerung und -wahn, bürokratischer Überregulierung und Digitalisierungsrausch, gepaart mit Einschleimerei und Nepotismus, findet sich ja überall. „Ich schreib dazu mal ein Memo!“
Männerbande der zahnlosen Tiger
So weiß Finch im richtigen Moment die Beharrungskraft des Poststellenleiters mit seinem Dienst nach Vorschrift zu loben und sich durch den Verzicht auf die Beförderung zugunsten eines langjährigen Kollegen als integrativ und inoffensiv darzustellen, nicht ohne sich längst weiter oben als frische und ideenreiche, aber eben ungefährliche Alternative zu offerieren. Der Rest ist Diplomatie. Mit einer Blume wird die Chefsekretärin gnädig gestimmt. Weil er sie von Rosemary bekommen hatte, sagt er dieser: „Gönn der alten Frau doch den schönen Moment“. Nein, ein feiner Kerl ist Finch nicht. Alles ist Berechnung.
Wenn er sich sonnabends vom Chef im Büro erwischen lässt, dessen Vorlieben für entspannendes Stricken und Baseball er teilt. Wenn er nebenbei fallen lässt, dass der neue Werbechef der gegnerischen Mannschaft zugeneigt ist, oder die Geliebte des Chefs zu persönlicher Mission ins Büro des Vorgesetzten schickt. Prompt findet er sich danach immer einen Schreibtisch höher wieder. Selbst nach der missglückten Werbekampagne fällt Finch wieder auf die Füße, weil der Aufsichtsratschef auch als Fensterputzer begonnen hatte, und so siegt der alte Korpsgeist, wie ihn der Song „The Brotherhood of Man“ beschwört: „Auch ein Loser ist ein Mann“. Diesen Zusammenhalt der alten Säcke noch im Scheitern hätte man angesichts heute nachdrängender Frauenpower noch satirischer ausstellen können. Neele Kramer dringt als Chefsekretärin mit souliger Stimme darüber, noch ein Schritt, und sie könnte die Dompteuse dieser längst zahnlosen Tigerclique sein.
Finchs Liebesgeschichte ist schon im Stück nur aufgesetzt, um den Karrieristen sympathischer zu machen. Aber es ist immer nur Rosemarys Liebe, er denkt bei seiner Karriere nicht an ihr gemeinsames Glück oder gar eine Familie, was andererseits ehrlich ist. Die Regie karikiert ihre Sehnsucht vom Warten mit dem Braten durch einen dann reingetragenen rohen Puter, aber Kathrin Finja Meier bleibt doch ganz die sanfte Braut und könnte ihrerseits die ehrgeizig pushende sein, die hillarymäßig vom Weißen Haus träumt, das am Ende des Stücks aufscheint.
Quirlig gibt Samuel Jonathan Bertz Finchs Gegenspieler Bud, der als Neffe des Chefs gekonnt zwischen verwöhntem Kind und rachsüchtigem Intriganten changiert. Als Konzernchef Biggley findet der verdiente Opernsänger Uwe Tobias Hieronimi eine dankbare Charakterrolle. Der pointenreiche Text, die augenzwinkernde Inszenierung mit gestischen Leitmotiven wie dem Nachvorn-Schubsen der Schuldigen ergeben einen flotten Abend aus dem Arbeitsleben mit mehr Alltagserfahrung, als Zeit und Ort vermuten lassen.