Foto: Michel Naroditski als Othello © Torsten Biel
Text:Detlev Baur, am 3. März 2018
Jagos Hass auf Othello hat ganz persönliche Gründe, er fühlt sich ungerechterweise nicht befördert. In seiner schlauen Intrige gegen den erfolgreichen Vorgesetzten mit Migrationshintergrund nutzt er auch Rodrigo, der Othello aus privaten Gründen hasst; denn er „wollte“ die jüngste Eroberung Othellos, die schöne Desdemona für sich. Die Inszenierung am kleinen Theater Naumburg – die Bühne des ehemaligen Puppen- und Figurentheaters hieße andernorts „Studio“ – konzentriert das Stück auf sechs Darsteller (von denen zwei Gäste sind). Und sie verzichtet entsprechend auf viele Figuren, so auch auf Rodrigo. Jago (Tom Baldauf) enthüllt seine Abneigung gegen den Mohren dafür im Gespräch mit dem Publikum. Ausstatterin Ute Radler hat eine spitz in den Zuschauerraum hineinragende Bühne aus Stufen gebaut; die jeweils nicht agierenden Darsteller sitzen meist unbeteiligt in der ersten Reihe, werden später aber auch zum Echo von Othellos Emotionen oder geben dem (hier demokratischen) Rat des Herzogs Stimme.
In der souveränen Regie von Georg Münzel wird „Othello“ zu einem konzentrierten Kammerspiel. Othellos Position im komplexen Machtgefüge Venedigs und seiner Marine kann hier keine große Rolle mehr spielen, ebenso wenig die Schauplätze Venedig und Zypern. Michael Naroditzki gleicht als weiß gekleideter Othello denn auch weniger einem erfahrenen Haudegen, sondern eher einem jungen Mann auf der Suche nach sich selbst. Jago, der als Strippenzieher des Unheils auch in dieser Inszenierung die größere und aktivere Rolle spielt, ist nicht unbedingt ein Rassist, vielmehr nutzt er eben alle Mittel, um dem erfolgreichen Außenseiter zu schaden. Baldauf liefert im Feinripp-Unterhemd und mit Pistole im Halfter die Studie eines cleveren Fake-News-Produzenten.
Dazu kommen ihm der brave Gegenspieler Cassio (Adrien Papritz) und der ein oder andere Soldat bzw. Abgesandte aus Venedig (Markus Sulzbacher) gerade recht. Und auch seine eigene Frau Emilia (Eléna Weiß), die im Gespräch mit Desdemona (Patricia Windhab) schon mal „positiv rassistisch“ wird. Überhaupt verschiebt sich die Inszenierung durch die Reduzierung der Männerwelt in Richtung Frauen. Eléna Weiß gelingt es besonders gut, die Nähe des Publikums mit in ihr Spiel einzubeziehen. Mit schlechten Neger-Witzen durchbricht sie (wie auch zur Einführung der Pause der „Ösi“ Markus Sulzbacher) die Ferne der Geschichte. Auch unfreiwillige Versprecher gegen Othello machen diese Emilia zu einer brüchigen Figur; Desdemonas sinnloser Tod bringt sie aus der Fassung und lässt sie zugleich gegen ihren Mann für die Wahrheit einstehen. Doch nach wie vor haben die Männer hier die Knarren in der Hand: Jago erschießt seine Frau, Othello richtet sich selbst. Die eigentlichen Opfer und Menschen jenseits blinder Gefühle und Machtgelüste sind in der Inszenierung dieses Männerstücks aber die Frauen. Anrührend tröstet Desdemona kurz ihren Mörder Othello, nachdem er sie mühsam erdrosselt hat.
Die Naumburger Inszenierung rafft das Intrigenspiel schlüssig; sie dürfte damit auch Lehrern oder Freunden der Werktreue gefallen. Zugleich ist sie ästhetisch und darstellerisch ganz auf der Höhe unserer – wenig erfreulichen – Zeit.