Statt prächtigem Renaissance-Ambiente und glitzernden Kostümen sieht man in Pforzheim dunkle leere Bühnenräume und in Schwarz-Grau-Tönen gehaltene Alltagskleidung (Ausstattung Verena Hemmerlein). Das gibt aber Raum frei für den Tanz, der sich ausdrucksstark auf die Liebestragödie konzentriert. In der anrührenden „Balkon“-Szene präsentiert sich Julia (Risa Yamamoto) ganz verspielt. Ihr scheuer Mädchen-Charme lässt Romeo (Cornelius Mickel), der in elegant gleitender Bewegungssprache mit Zärtlichkeiten antwortet, regelrecht dahinschmelzen. Später, in ihrer Hochzeitsnacht, haben beide ihre unschuldsweiße Unterwäsche ausgezogen und liebkosen sich unter flattrigem Leinentuch. In der Gruft, wo Julia (zunächst) scheintot aufgebahrt wird, ereignen sich wilde Verzweiflungsgesten und letzte Hingabe im nacheinander vollzogenen Liebestod.
Julias Amme (Julia Suschka) mimt ein sexy Aupair-Mädchen, Benvolio hat sich in eine quirlige Benvolia (Alexandra Andreeva) verwandelt. Paris (Marek Ranic) ist ein galanter Party-Löwe, Pater Lorenzo (Hiroyuki Tomosugi) ein Zenpriester geworden. Der Witz des humoristisch angelegten Sterbetanzes Mercutios (Yari Stilo) hält sich freilich in Grenzen. Einmal leuchtet zitathaft Petersburger Tanzdramatik auf, als sich Lady Capulet (Elsa Genova) wie eine Rachegöttin neben dem Leichnam Tybalts (Marco Barbieri) austobt.
Am Pult der Badischen Philharmonie Pforzheim steigt Tobias Leppert zielstrebig in die reduzierte Partitur ein und arbeitet Auftritts-Leitmotive und die süßen Melodielinien der Liebesszenen rhythmisch sauber und klangschön heraus. Eine erstaunlich tänzerisch-musikalische Leistung für ein Theater der Pforzheimer Größe.