Foto: Szene aus "Romeo und Julia" am Theater Pforzheim © Sabine Haymann
Text:Eckehard Uhlig, am 25. Februar 2011
Wie man aus der Not eine Tugend macht und Sergei Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ mit einer gerade mal zehnköpfigen Compagnie aufführen kann, ist am Stadttheater in Pforzheim zu sehen. Freilich hat James Sutherlands Inszenierung nichts mehr mit Lavrovskys Petersburger „Urmodell“-Choreographie von 1940 zu tun. Der rauschende Ball im Hause Capulet findet allenfalls in Andeutungen statt. Die spektakulären Fechtszenen und Degen-Duelle, in denen die verfeindeten Clane der Capulets und der Montagues aufeinander losgehen, haben sich in aggressive Rangeleien von Jugendcliquen verwandelt, die an die Jets und die Sharks aus der West Side Story erinnern. Bald geht das Geschubse in Kickboxen über, bis mit Messern zugestochen und zwischen Mercutio, Tybalt und Romeo Todernst gemacht wird.
Auch die glanzvollen Posen und triumphalen Heber, in denen sich das Liebespaar Romeo und Julia seit Crankos legendärer Ballettversion begegnet, fehlen in Pforzheim. Bei Sutherland wird mit Dive ziemlich modern auf flachen Sohlen getanzt. Athletische Bodengymnastik ist Trumpf. Propellernde Arme oder tiefe Pliés mit seitwärts gedrehten Beinen bestimmen die Gruppentänze, aus denen heraus Julia ihren Romeo bespringt, der mit ihr kreiselt und wirbelt.
Statt prächtigem Renaissance-Ambiente und glitzernden Kostümen sieht man in Pforzheim dunkle leere Bühnenräume und in Schwarz-Grau-Tönen gehaltene Alltagskleidung (Ausstattung Verena Hemmerlein). Das gibt aber Raum frei für den Tanz, der sich ausdrucksstark auf die Liebestragödie konzentriert. In der anrührenden „Balkon“-Szene präsentiert sich Julia (Risa Yamamoto) ganz verspielt. Ihr scheuer Mädchen-Charme lässt Romeo (Cornelius Mickel), der in elegant gleitender Bewegungssprache mit Zärtlichkeiten antwortet, regelrecht dahinschmelzen. Später, in ihrer Hochzeitsnacht, haben beide ihre unschuldsweiße Unterwäsche ausgezogen und liebkosen sich unter flattrigem Leinentuch. In der Gruft, wo Julia (zunächst) scheintot aufgebahrt wird, ereignen sich wilde Verzweiflungsgesten und letzte Hingabe im nacheinander vollzogenen Liebestod.
Julias Amme (Julia Suschka) mimt ein sexy Aupair-Mädchen, Benvolio hat sich in eine quirlige Benvolia (Alexandra Andreeva) verwandelt. Paris (Marek Ranic) ist ein galanter Party-Löwe, Pater Lorenzo (Hiroyuki Tomosugi) ein Zenpriester geworden. Der Witz des humoristisch angelegten Sterbetanzes Mercutios (Yari Stilo) hält sich freilich in Grenzen. Einmal leuchtet zitathaft Petersburger Tanzdramatik auf, als sich Lady Capulet (Elsa Genova) wie eine Rachegöttin neben dem Leichnam Tybalts (Marco Barbieri) austobt.
Am Pult der Badischen Philharmonie Pforzheim steigt Tobias Leppert zielstrebig in die reduzierte Partitur ein und arbeitet Auftritts-Leitmotive und die süßen Melodielinien der Liebesszenen rhythmisch sauber und klangschön heraus. Eine erstaunlich tänzerisch-musikalische Leistung für ein Theater der Pforzheimer Größe.