Foto: Torsten Flassig als roboterhafter Prüfer Yannick in der Uraufführung "Mars" am Schauspiel Frankfurt © Jessica Schäfer
Text:Bettina Boyens, am 20. Mai 2018
Marius von Myenburg inszeniert die Uraufführung seines eigenen Stückes „Mars“ am Schauspiel Frankfurt.
Es ist kein Zufall, dass seit drei Jahren Escape Rooms in Frankfurt und anderen Großstädten zum urbanen Kultevent geworden sind. Dass Gruppen von Menschen stolze Preise dafür zahlen, sich mit einer Mischung aus Knobelei, Rollenspiel, Schnitzeljagd und Durchsetzungskraft aus einem Raum zu befreien, in den sie eingesperrt sind, ist ein Megatrend. Und Zeitgeist einer Epoche, die regelmäßig von apokalyptischen Daseinsdrohungen heimgesucht wird.
Auch Marius von Mayenburg pfercht in seiner schrägen Dystopie „Mars“ in den Frankfurter Kammerspielen vier Menschen in einem Escape-Bunker zusammen, die allerdings zunehmend nicht miteinander, sondern gegeneinander arbeiten, um vom kaputten Planeten Erde in eine bessere Zukunft zu fliehen. Wasser, Öl und Nahrung, alle Ressourcen gehen jeden Moment zu Ende, die Welt droht ein unbewohnbarer Ort zu werden. Unternehmer Achim bringt es auf den Punkt: Seine reichen Kollegen kaufen bereits Grundstücke in Neuseeland und ganze Inseln inklusive verminter Strände. Da werden in Nevada tief unter der Erde Betonanlagen gebaut samt Poloplätzen, riesigen Vorräten, unterirdischen Söldnerheeren und Hochtechnologiebewaffnung. Klar, dass Achim, überangepasst und ängstlich gespielt von Michael Schütz, mit seiner erwachsenen Tochter Johanna (von Luana Velis als blasser Gutmensch angelegt) in einem entlegenen Forschungszentrum beim Kampf um die Teilnahme an der Mission, in die engste Auswahl kommen will.
Ihre Gegner sind die Zwillinge Edgar und Oskar, die in schönster Schwarz-Weißzeichnung miteinander ringen wie einst Kain und Abel: Während Edgar (Nils Kreutinger) überlegen, strategisch und leistungseffizient agiert, tobt Oskar als eifersüchtiger, aggressiv-gestörter Psychopath über die Bühne. André Meyer stattet ihn mit der zerstörerischen Wucht einer alles verschlingenden Naturgewalt aus, die es locker nicht nur mit sämtlichen drohenden Untergangsszenarien aufnehmen kann, sondern den Besuch der spröden und anstrengenden Uraufführung wert macht. Bleibt noch der elfenhaft verrätselte Prüfer Yannick (Torsten Flassig), der mit monotoner Roboterstimme vierhebige Paarreime absondert und bei der Führung der vier Probanden durchs Assessment-Center mehr Fragen als Antworten aufwirft.
So bleibt für die verunsicherten Kandidaten diffus, welche Werte gelten sollen. Sind Menschenrechte und Teamplaying wichtig oder braucht es stumpf-brutale Aggressoren? Sie kämpfen im dunklen Betonkasten von Sébastien Dupouey, der mittels eines bühnenbreiten Schlitzes sein Augenlid zur Außenwelt hochklappen kann, um ihr nacktes Überleben. Dabei triggert Mayenburg sich durch cineastische Anklänge unzähliger Genrefilme: Der „Marsianer“ lässt grüßen, Villeneuves „Arrival“ und Nolans „Interstellar“. So weit so schlecht. Denn im Verlauf der langen 100 Minuten steht zunehmend die Frage im Raum: Worin besteht der zwingende Theaterbeitrag Mayenburgs? Und warum wirkt der Kampf der Schauspieler so wenig glaubhaft? Weshalb löst der regieführende Autor die existentiellen Konflikte immer wieder seicht auf? Die Truppe der vier Kämpfer bleibt in jeder Minute nur eine Gruppe von Schauspielern, die lediglich vorgeben, überleben zu wollen. Kühle Kopfgeburten, die den Zuschauer intellektuell fordern, aber nie wirklich bewegen. Dieser Mayenburg hat dennoch Potential. Wenn ihn nicht Mayenburg selbst inszeniert hätte. Großer Premierenjubel am Schluss für Schauspieler, Autor und Regieteam.