Foto: Florian Mania (Thees), Michael Kamp (Gabor), Benedikt Crisand (Falk), Volker Muthmann (Hagen) und Karolina Horster (Anna) in so realer wie digitaler Verwirrung. © Klaus Fro?hlich
Text:Detlev Baur, am 13. Dezember 2011
Am Anfang war die elektronische Datenverarbeitung, dann kam das Internet, später die sozialen Netzwerke, und nun steht das allumfassende Web 3.0 vor der Tür, in dem die menschliche Existenz kommerziell gesteuert werden kann. Oder ist es längst da? So verwirrend sich die neue digitale Welt für viele Zeitgenossen ausnimmt, so prägend ist sie bereits für unser Leben und so viel Unsicherheit besteht bezüglich der Auswirkungen auf das soziale Leben der Zukunft. Höchste Zeit also, dass das soziale Medium per se – das Theater – sich intensiv der sozialen Netzwerke und des Web 3.0 annimmt. Hubert Schipokowski hat das in seinem ersten Theaterstück getan, Jens Poth hat es am Theater Heidelberg auf die Bühne gebracht. „Epic 3.0“ schildert den Erfolg eines Startup-Unternehmens, das ein neuartiges soziales Netzwerk (gleichen Namens) entwickelt, in dem die Persönlichkeit der Mitglieder analysiert und dann in Verbindung zu den anderen gesetzt wird. Großinvestor Gabor kauft den Laden auf und bringt die drei jungen Männer damit schließlich auseinander. Der Programmierer wird aus dem Unternehmen gemobt und nimmt sich sein verpfuschtes Leben. Epic ist so machtvoll, dass die Mitglieder letztlich durch einen Klick zerstört werden können.
Bei aller Komplexität schafft es das Stück einen roten Faden zu behalten, an dem wesentlich die einzige Frau, Anna, beteiligt ist. Sie ist die Freundin des intellektuellen Außenseiters Hagen, dann Assistentin des neuen Bosses und hat auch noch eine kurze Affäre mit dem Möchte-Gern-Macher Falk. Letztlich ist das Stück also ein Beziehungsdrama. An diesem Strang zeigt die Heidelberger Inszenierung auch ein intensives Interesse – zum Wohle der Aufführung. Annas (Karoline Horster) und Hagens (Volker Muthmann) Liebe und Entfremdung, die Unsicherheiten der Newcomer (Florian Mania als weltfremder Programmierer und Benedikt Crisand als zunehmend verwirrter Jungunternehmer) sowie das groteske Gehabe des geschwätzigen und brutalen Gabor (Michael Kamp) sind wunderbar intensiv gespielt. Gabor ist in frack-ähnlicher Jacke von Adidas eine unfassbare Mischung aus Boxtrainer und Sektenführer. Der kritische Geist Hagen wird zunehmend zum diktatorischen Geist, der den gottgleichen Gabor lange fasziniert. All das funktioniert weitgehend ohne digitale Bühnentechnik. Nur am Anfang und am Ende sind über Simone Wildts karge Bühne (die aus fünf kleinen Plattformen mit jeweils einem kleinen Tischchen besteht) Gitternetzlinien projiziert. Und am Ende hantieren Gabor und Hagen zu Demonstrationszwecken in diesen luftigen Linien mit Touch-Pad-Bewegungen und Geräuschen.
Im Zentrum von „Epic 3.0“ stehen aber ganz normale, komplizierte und düstere menschliche Entwicklungen. Insofern ist dieses Internet-Drama nicht ganz komplett. Der Text behauptet die soziale Realität virtueller Welten mehr, als dass er sie in die Lebenswelt der Figuren integrierte. Soziale Kälte als Ergebnis gibt’s auch in traditionellen Firmen. Und doch deutet Poths technisch zurückhaltende Inszenierung durch die enorme Intensität und Dynamik der Darsteller an, dass die sozialen Welten in Bewegung sind.