Foto: Szenenbild aus "Artaserse" von der Theaterakademie August Everding © Jean-Marc Turmes
Text:Klaus Kalchschmid, am 13. April 2018
Größe Eröffnung des Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth: Johann Adolf Hasses „Artaserse“ in der Inszenierung von Balasz Kovalik
Alle waren festlich gestimmt und voller Erwartung, wurde doch an diesem Abend eines der schönsten und größten noch erhaltenen Barocktheater nach sechs Jahren penibelster Restaurierung und Sanierung wiedereröffnet. Was nicht zuletzt nach wenig fachgemäßer Konservierung in den 1930er Jahren dank giftiger Holzschutz- und Bindemittel stark nachgedunkelt war, erstrahlte nun in feinen, warmen und viel helleren Pastelltönen. Wo Farbe, etwa an den Handläufen und den Stützsäulen in den Rängen, abgerieben war, blieb die Abnutzung sichtbar, an anderen Stellen war man überrascht und erstaunt über die originalen Farben und den Reichtum der Ausmalungen, die man in dieser Subtilität lange nicht sehen konnte und die immerhin noch zu 90 Prozent erhalten sind. Statt des bei der letzten Restaurierung eingebauten, versiegelten Parketts gibt es nun wieder, wie in der Barockzeit üblich, naturbelassenen Dielenboden, und auch die neue Bestuhlung wurde mit hellem Blaugrau der durch die Restaurierung wiederentdeckten Farbigkeit angepasst.
Wie gewaltig und opulent muss das Markgräfliche Opernhaus, errichtet zur Hochzeit der einzigen Tochter der Markgräfin Wilhelmine im Jahr 1748 nach nur vier Jahren Bauzeit gewirkt haben, war es doch damals das größte Theater Deutschland. Jetzt ist der Bühnenausschnitt wieder original groß (10 x 14m), und fast verloren wirkt in diesem mit neuer Technik ausgestatteten Raum der Miniaturnachbau der Bühne samt ihrem nun wie einst – nach alten Stichen – durch einen zartroten Vorhang gefassten Bühnenportal.
Als Balasz Kovalik den Auftrag bekam, eine der beiden Eröffnungs-Opern des Jahres 1748 zu inszenieren, also „Artaserse“ von Johann Adolf Hasse, da stellte sich wohl im Laufe der Vorbereitung heraus, dass das keine einfache Sache werden würde. Zugleich fand das Team aus Regisseur, drei Dramaturginnen und dem Dirigenten Michael Hofstetter heraus, dass die Grundzüge der ursprünglichen Handlung mit der Biographie Wilhemines in Bezug stehen, wie ja überhaupt Herrscher sich früher immer allegorisch in den agierenden Personen verkörpert sahen. Im Original geht es um die Tötung des persischen König Xerxes durch seinen Oberbefehlshaber Artabanus. Er gibt seinem Sohn Arbace das blutige Schwert, womit dieser verhaftet, des Mordes bezichtigt und zu seinem Vertrauten Artaxerxes (Artaserse), dem Sohn von Xerxes gebracht wird. Semira, Schwester Arbaces‘ und Geliebte von Ataxerxes, glaubt nicht an die Schuld des Bruders, während Mandane, Geliebte Arbaces‘ und Schwester von Artaxerxes, sich verpflichtet fühlt, den Tod am Vater zu rächen.
Davon und wie das Ganze ausgeht, erfährt man im Markgräflichen Opernhaus und später im Münchner Cuvilliès-Theater oder beim Gastspiel in Budapest wenig, denn in der „Münchner“ Fassung gibt es als handelnde Figuren eine Schwester = die Markgräfin, einen Bruder = Friedrich der Große, den Vater, die Mutter und einen Intriganten. Sie werden zu den Figuren des Stücks oder spielen sich selbst, kommentiert von einer – am Ende auch singsprechenden – Schauspielerin, die die gealterte Markgräfin mimt und keine Geringere ist als Anja Silja. Sie kehrt nach über einem halben Jahrhundert wieder auf die Bayreuther Bühne zurück, diesmal freilich nicht im Sommer oben auf den Grünen Hügel für Wagner, sondern im Frühling mitten in der Stadt als Bayreuths große Fürstin des 18. Jahrhunderts, die die Architektur der Stadt maßgeblich geprägt hat.
Nun erfährt man also aus ihrem Munde – und nach Texten aus Briefen und ihren Memoiren, wie ihre Geburt als Mädchen Irritationen auslöste, ihre Heirat mit dem Bayreuther Markgraf in die Wege geleitet wurde, wo sie doch eigentlich Ambitionen auf den englischen Thron hatte. Man hört, welch` strenge Erziehung – bis hin zu Schlägen – sie und ihr Bruder in Berlin erfuhren, dass sie miterleben musste, wie dieser mit seinem geliebten Katte fliehen wollte, die beiden ertappt und der Geliebte hingerichtet wurde. Am Ende resigniert die Markgräfin in einem alptraumartigen „Recitativo accompagnato“, das mitten aus der Oper und von Arbanus stammt, bevor sie sich mit den Worten ihrer eigenen Oper „Argenore“ – aus der es auch eine wundervolle Arie zu hören gibt – ins Elysium der Kunst hinüberrettet.
Soweit so gut und schön erdacht als barockes Pasticcio, in das auch drei Arien aus Hasses „Ezio“, der zweiten 1748 aufgeführten Oper eingepasst waren. Aber ganz ohne Übertitel und mit den Affekten angepassten, aber sonst wild durcheinandergewürfelten italienisch gesungenen Arien, zwischen denen originale Rezitative weniger Sinn stiften, als noch mehr Verwirrung, bleibt von „Artaserse“ schöne, empfindsame Musik, die von fünf exzellenten jungen Sängerinnen und Sängern in prachtvollen Kostümen (Sebastian Ellrich), die vom Barock schon mal ins 20. Jahrhundert switchen, dargeboten und gespielt wird. Zwar ist es spannend zu erleben, wie Autobiographie sich mit dem Werk verbindet, es unterläuft oder überwölbt, nur erhält man selten einen Eindruck von der Qualiät und der Faktur der originalen Oper. Charmant ist das Setting eines dreh– und in Teilen zerlegbaren Mini-Opernhauses (Bühne: Csaba Antal), auf das man klettern, das hübsche Barockopern-Parodie bieten kann und bei dem Bühnentechnik des 18. Jahrhunderts en miniature zum Einsatz kommt.
Die Koloratursopranistin Pauline Rivet verzaubert mit heller, leichter Stimme als „Schwester“ schon in ihrer ersten Arie, während Kathrin Zukowski dem „Bruder“ und anderen jungen Männern warmes Profil gibt. Die Mezzosopranistin Natalya Boeva gibt mit leicht geschärftem Mezzo das Muttermonster, während Bassist Eric Ander, bereits Absolvent der Theaterakademie, alle Facetten des bösen Vaters mimt und singt, aber auch, wie ein Mann, an dem, was er darstellen muss, leidet. Herausragend und höchst vielseitig in allen Facetten des Intriganten: der feine chinesische Tenor Tiaji Lin.
Spiritus Rector der Aufführung war nicht zuletzt die Hofkapelle München unter Michael Hofstetter, deren historisch informiertes Musizieren vor soviel Eleganz und Charme sprühte, so feinfarbig und diffizil konturiert war, aber auch einen hellen, lichten Fluss besaß, dass der akustische Eindruck ähnlich berückend war, wie der optische, wenn man in den Pausen den Blick zu den Rängen hinaufwandern ließ und mal das Detail bewundern durfte, mal vom elegant geschwungenen Ganzen beeindruckt war.