Foto: Bernd Könnes (Staatsanwalt), Dagmar Hesse (Selma Ježková), Ensemble © Kühle/theaterhagen
Text:Konstanze Führlbeck, am 15. April 2013
Filmprojektionen, die von immer mehr verschwimmenden Maschinenbildern dominiert werden, ziehen den Zuschauer mit magischem Sog durch einen Tunnel in eine Geschichte von Armut, Krankheit und unerfüllten Träumen hinein und nehmen die Unabwendbarkeit einer sich anbahnenden Tragödie vorweg. Regisseur Gregor Horres begreift das Geschehen um die erblindende tschechische Einwanderin Selma Jezková (Dagmar Hesse) und ihren Sohn Gene (Paul Schlenga) als eine Passion; seine Inszenierung konzentriert sich darauf, auf einer leeren Drehbühne den Weg der Protagonistin, einer modernen ‚mater dolorosa‘ ohne Hoffnung auf Erlösung, bis zur Katastrophe mit düsterem Fatalismus nachzuzeichnen.
Minimalismus und äußerste Konsequenz, Direktheit und Konzentration prägen Musik, Regie und Story: Selma Jezková arbeitet in einer Maschinenfabrik, um ihrem Sohn eine Augenoperation finanzieren zu können, damit er nicht ebenso wie sie selbst durch eine Erbkrankheit erblindet. Aufgrund ihrer Fehler in der Maschinenfabrik wird sie gekündigt. Ihren Lohn verwahrt sie in einer Sparbüchse in ihrer Küche. Beim Ringen mit ihrem Vermieter, dem Polizisten Bill Houston (Raymond Ayers), der ihr das Geld wegnehmen will, um den Kaufrausch seiner Frau Linda (Jutta Wermeckes-Krafft) zu befriedigen, löst sich ein tödlicher Schuss aus seiner Pistole. Im Prozess äußert sich Selma gegenüber den in Showmanier vorgetragenen Anklagen des Staatsanwaltes (Bernd Könnes) nicht zu den Hintergründen ihrer Tat; nur die Augenoperation ihres Sohnes Gene, deren Organisation sie ihrer Freundin Kathy (Kristine Larissa Funkhauser) anvertraut hat, ist ihr noch wichtig; erst am Schluss bricht sie vor der unmittelbar bevorstehenden Hinrichtung durch Erhängen zusammen.
Das Orchester nimmt zu Beginn die Geräusche des Industriebetriebes auf; harsche Akkorde dominieren, bis sich daraus zunehmend lyrische, an Melodien Puccinis erinnernde Passagen entwickeln. In einer Musicalepisode werden Selmas Wunschbilder vom „American Dream“ assoziiert, die an der harten kapitalistischen Realität im Amerika der 60er Jahre zerbrechen. Spätromantische, hoch emotionale Gesangspartien, die die Sänger um Dagmar Hesse als Selma überzeugend gestalten, kontrastieren mit dissonanten, ruppigen Orchesterpassagen, die das Philharmonische Orchester Hagen unter Leitung von David Marlow mit höchster Präzision und Expressivität interpretiert. Diesen Kontrast will Poul Ruders aber nicht als Bruch verstanden wissen, sondern als konsequente assoziative Spiegelung der Gefühle und Situation der Protagonistin Selma in einem akustischen stream of consciousness.
Ungeachtet einiger musikalischer wie dramaturgischer Längen ist „Selma Jezková“ eine hochemotionale Oper von archaischer Eindringlichkeit, die sich weit von ihrer filmischen Vorlage entfernt, aber das kurze tragische Leben einer entwurzelten Frau in einer kurzen tragischen Oper voll packender Spannung erzählt.