Foto: Juliane Köhler und Ben Halscheid (Kamera) in „Niemand wartet auf dich“ am Residenztheater. © Adrienne Meister
Text:Sarah Heppekausen, am 23. Januar 2021
Jetzt wolle sie uns erst mal anschauen, sagt die Schauspielerin und strahlt in die Kamera. Gefilmt in Großaufnahme. „Sie sehen gut aus.“ Vielleicht sieht sie uns tatsächlich vor den Bildschirmen sitzend, technisch möglich wäre das zumindest in dieser Zoom-Premiere des Münchner Residenztheaters. Vielleicht ist aber auch die Kamera ihr einziges Gegenüber in diesen einsamen Zeiten der Pandemie. Die Liebe zum Publikum, von der die Schauspielerin erzählt, bekommt zumindest eine neue, bemerkenswerte Bedeutung.
Die niederländische Autorin Lot Vekemans hat ihr Stück „Niemand wartet auf dich“ vor Corona geschrieben, 2018 wurde es uraufgeführt, in den Niederlanden wurde es in Sitzungs- und Ratssälen gespielt, ein anschließendes Nachgespräch ist ausdrücklich erwünscht und wird in den Münchner Folge-Streamings auch stattfinden. Denn Vekemans‘ Stück ist ein Appell an die Debatte, ans Aktivwerden („ICH WILL ETWAS TUN“). Mantraartig wiederholt die Schauspielerin also ihren Wunsch, nein, den Drang nach gesellschaftlichem Engagement und Bedeutsamkeit. Denn sie glaubt tatsächlich: „Wenn ich nichts tue, passiert nichts.“
Juliane Köhler spielt diese ruhelose, therapiegruppensüchtige Schauspielerin. Übermotiviert sind deren Worte, nicht aber Köhlers Agieren. Da bleibt die Darstellerin, der das Spiel auf der Bühne genauso vertraut ist wie das vor der Filmkamera, angenehm zurückhaltend. In all ihren Rollen. Denn Vekemans lässt die Schauspielerin zunächst als 85-jährige Frau, die als Müllsammlerin für gesellschaftliche Aufmerksamkeit sorgt, auftreten. Dann als enttäuscht zurückgetretene Politikerin. Juliane Köhler spricht drei Monologe, ihre Figuren wechselt sie vor dem Schminkspiegel – Perücke ab, Lippenstift drauf, beigen Pulli aus, dunkelblaue Anzughose an. Und ihr Körperspiel? Mal ein Händereiben (die Politikerin), mal ein Schräg-vorne-auf-der-Stuhlkante-Sitzen, als wolle sie dort möglichst schnell wieder weg (alte Frau).
Vehemenz verspricht nur das Wort. Und Worte gibt es reichlich an diesem Zoom-Abend. Sie könne sich nicht erinnern, wann sie sich zum letzten Mal selbstständig habe denken hören, sagt die Politikerin. Also lässt Vekemans die drei Frauen reflektieren und in Bildern sprechen, bis jeder Gedanke gewiss geklärt ist. Von der eigenen Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen, forderte schon Kant zur Zeit der Aufklärung. Wenn Vekemans‘ Frauen aber jede ihrer Überlegungen ausbuchstabieren, verstrickt sich aufgeklärte Mündigkeit auch schnell mal in nervige Selbstbezogenheit. Da ist es gut, dass Juliane Köhler ihren Frauen bei aller Entschlossenheit auch etwas Zerbrechliches, Unsicheres mitgibt.
Gewisse Spannung entsteht in der sonst zurückgenommenen Inszenierung von Daniela Kranz durch die Kameraführung. An ausgesuchten Stellen wird die Darstellerin von unten gefilmt oder die Kamera folgt ihr durch den Raum. Die Kamera als Atmosphäre-Gestalterin – das ist ein Gewinn des notgedrungenen Streamings. Ansonsten verbleibt die Inszenierung aber in der Basisarbeit. Als eine Art szenische Lesung funktioniert sie als gute Grundlage für Diskussionen, vielleicht – wie angedacht – über das Verhältnis von Bürger und Politik, vielleicht aber auch über Einsamkeit, Ängste oder die Relevanz von Kunst… Bleibt also die Hoffnung auf die Publikumsgespräche in den kommenden Vorstellungen.