Foto: „The Making of Blond“ an der Deutschen Oper Berlin © Eike Walkenhorst
Text:Anna Opel, am 9. Juni 2021
Kommt ne freie Theatermacherin in die Oper. Schreibt ne Partitur, schickt sie dem Publikum per Kopfhörersystem auf die Ohren. Steht dann selbst auf der Bühne und schmettert sich der Wagnertradition entgegen. Kein Witz, so geschehen im Rahmen einer für Jugendliche ab 14 empfohlenen Koproduktion von Chez Company mit dem Burgtheater Wien und der Deutschen Oper Berlin.
Corona-konform beginnt die Aufführung im Freien vor der Spielstätte Tischlerei. Das Publikum hat Kopfhörer auf, es wird über eine männliche Computerstimme im Ohr gebeten, noch draußen zu bleiben. Dann fällt ihr eine weibliche Computerstimme ins Wort, denn in dieser Produktion geht es um Geschlechterrollen, um die Macht in den Institutionen der Kunst und wie das alles zusammengehört.
Wer macht Programm für wen und welche Rollen kann man überhaupt noch spielen? Die Danckwart-Partitur, die hier selbst Figur geworden ist und spricht, nimmt das Publikum mit auf die Reise. Während vor den Türen des Theaterraums noch Fetzen der „Rheingold“-Hauptprobe vom großen Haus herüberwehen, während von den Garderobenfenstern aus Sänger grüßen, schlängelt sich die Erfinderin des Abends, Gesine Danckwart mit kunstblonder Perücke und Glitzerrock, schon mal vor ins Haus hinein.
Und dann bittet uns die Stimme zu folgen. In die Illusionsmaschine Oper hinein. In diesen Apparat, der so groß ist und so massiv, dass er ganz von allein zu funktionieren scheint. Mit „The Making of Blond“ fängt die Theatermacherin Gesine Danckwart an der Oper an. Mit allem, was dazugehört. Sich schlau machen müssen. Mit dem Gesicht als Großaufnahme vor einer Projektion des Zuschauerraums Großes Haus, bekennt sie, wie schwer das fällt. „The Making of Blond“ ist Erkundung und Recherche statt Drama und Handlungsstrang. Der Gestus: weniger rebellisch als suchend. Danckwart spielt buchstäblich mit der Technik, lässt sich von einem Bühnentechniker mit der Hebebühne (mit der Aufschrift ‚Genie‘) hochfahren, um nach den Sternen zu greifen, und verteilt von oben Perücken an die Musiker. Blond, das ist Chiffre für Geschlechterrollen und von da aus für jegliche Festlegungen und Projektionen.
Mit ihrer Produktionsfirma Chez Company kapert Gesine Danckwart das Steuerrad. Halt! Nicht einfach immer weitermachen. Was ist mit all diesen Siegfrieds und Salomes, die hier ständig auftreten? Können wir Heutige an dieses Repertoire andocken, an diese Rollen? Mit dem Tenor Jörg Schörner und dem Charaktertenor Burkhard Ulrich hat Danckwart Akteure aus dem Ensemble der Deutschen Oper an Bord genommen. Sie verlassen das Gewohnte und gehen mit. Raus aus der Illusion, rein ins Live-Theater. In den Gegenwartsmoment. Als sie selbst geben Schörner und Ulrich Auskunft über Sängerfach und Repertoire, über ihr Handwerk, ihr Sängerfach. Danckwart legt vor, so wirkt es, indem sie sich mit ihren Fragen zeigt und die Protagonisten ziehen nach und lassen sich ein.
Das Komponistenduo Thomas Kürstner und Sebastian Vogel haben für Chez Company das musikalische Material für den Abend bearbeitet. Ein Streicher*nnen-Quartett spielt das umgeschriebene Material: Robert Schumanns „Hör ich das Liedchen klingen“, Passagen aus Richard Strauss‘ „Salome“ und der „Matthäus-Passion“ von Johann Sebastian Bach, mit anderem Text und auch mit anderer Melodie. Vom Podium her rollen Vogel und Kürstner den Klangteppich aus, mit elektronischen Geräten und selbstgebauten Instrumenten wie einer Glasharfe.
Dazu entfaltet sich keine Handlung, sondern eine Struktur, die den Protagonist*nnen und ihren Geschichten Raum gibt. Die Dramaturgie des Abends legt Fäden aus, hält sie lose zusammen. Burkhard Ulrich gibt Auskunft über sein Handwerk als Wagner-Interpret. Jörg Schörner singt Danckwarts frisch geschriebenen Text von der Seitenwand ab und tritt später als Salome im Kleid mit Schleppe auf. Das Salome-Motiv. Danckwart arbeitet sich textlich an den Projektionsflächen von Blondsein, Schönheitsdiktat und Likeability ab. Sich in all dem, trotz all dem, gegen den überdimensionalen Wagner und seinen Siegfried als Künstlerin behaupten. „Die Linie vom Vater weg“ habe ihr viel gebracht, die „herrliche Mitgliedschaft in der KSK“ erzählt sie auf dem Teppich liegend in die Live-Cam hinein. Die Regie macht keinen Unterschied zwischen dokumentarischem Videomaterial, Spielszenen, Abstechern in die Garderoben, wo Schörner Danckwart in die Glitzerjacke hilft. Live-Cam, Projektionen, Arien und Bilder aus dem Haus: Das Kaleidoskop an Situationen wird dichter, dringlicher, bis Burkhard Ulrich schließlich zu Motiven aus Bachs „Matthäus-Passion“ singt: „Alles ist so schön.“ Ein Oktopus tanzt im Video dazu und die Erregungsenergie ebbt ab. Die Rollen sind nun mal die geliebten, gehassten Anlässe für unsere Spiele, so das Resümee der Regie-Performerin.
Der experimentelle Opernabend will eine Menge, fliegt manchmal aus der Kurve und schafft trotzdem viel. Er beglückt, weil sämtliche Künstler*innen nah und nahbar sind. Liebevoll und mit sicherem Handwerkszeug grätschen Danckwart und ihre Chez Company gemeinsam mit dem Duo Vogel/Kürstner in den so gut geölten Apparat der Deutschen Oper. Weniger wissen, mehr fragen, ist seine Devise.