Foto: v.l.n.r. Anna Nekhames (Venus), Peter Marsh (Piet vom Fass), Elizabeth Reiter (Amanda), Karolina Makuła (Amando) und Simon Neal (Nekrotzar) sowie im Hintergrund Statisterie der Oper Frankfurt © Barbara Aumüller
Text:Martina Jacobi, am 6. November 2023
Vasily Barkhatovs zweite Inszenierung an der Oper Frankfurt ist György Ligetis sogenannte Anti-Anti-Oper „Le Grand Macabre“ in der überarbeiteten Fassung von 1996. Der Regisseur trennt gekonnt Realität und Fiktion und will das Publikum auf den Boden der Tatsachen holen.
Ein riesiges Autobahndrehkreuz macht zu Beginn Zinovy Margolins Bühnenbild aus. Der Verkehr auf den Straßen steht. Im Stau steckt auch Nekrotzar, der in Vasily Barkhatovs Inszenierung nichts mystisches von einer Personifizierung des Todes hat, sondern ein Bestatter mit einem Faible zum Schreiben apokalyptischer Fiktion ist, ein Underdog. An der Seite hängt ein Bildschirm, der Nachrichten und Werbung zeigt, gerade die „Breaking News“, dass ein Komet auf die Erde zufliegt und diese zerstören wird. Die Nachrichtensprecher:innen reden Kauderwelsch, immer auch ein bisschen lächelnd. Dass die Welt im Ausnahmezustand ist, ist schon lang keine Neuigkeit mehr.
Simon Neal spielt den Höllenfürsten Nekrotzar, der gekommen ist, um den Weltuntergang zu verkünden. Er kriegt ein Straßenhütchen als Trompete, eine Motorsäge ist seine Sense und sein Pferd eine Schubkarre (Kostüme: Olga Shaishmelashvili) – alles eine komische, harmlose Mischung aus Joker mit Clownsmütze und American Psycho. Aus seinem Leichenwagen rutscht ein schwarzer Sarg, darin die tote Venus, die Peter Marsh als amüsanter Piet vom Fass in „The Dude“-Bademantel herausholt und zur singenden Leichenpuppe macht, während Amanda und Amando, stark dargestellt von Elizabeth Reiter und Karolina Makuła, sich im Sarg als Vögelkiste einnisten. Astradamors (Alfred Reiter) und Mescalina (Claire Barnett-Jones) kiffen in Erwartung des Untergangs erstmals, erleben einen wilden Bad Trip, in dem Nekrotzar Mescalina das Herz rausreißt. Aber es war eben nur ein Drogen-Trip und noch vor Ende des zweiten Bildes erwacht Mescalina wieder.
Krisen und Katastrophen als Realität
Barkhatov macht den apokalyptischen Zustand der Welt zur Realität. Die Gesellschaft ist an Krisen und Katastrophen gewöhnt, die Menschen schon lange verrückt oder auch nicht verrückter als sonst. Auf Fürst Go-Gos (Eric Jurenas) Weltuntergangs-Kostümparty, die abgeschirmt von Daten stattfindet, ohne einen Zugang zur Welt da draußen, finden sich Gäste wie auf einer Arche Noah quer durch die Menschheitsgeschichte: einer könnte Tutanchamun sein, da ist auch Kleopatra, ein Diktator, Adam und Eva. Alle werden reingelassen, nur der als Vagabund beschimpfte Nekrotzar zuerst nicht, der sich deshalb gewaltsam Zutritt verschafft. Es ist eine einzige Koksparty, die Gäste verfallen der eigenen Hypochondrie. Venus — Anna Nekhames stellt sie großartig dar —, nun als Chefin der Gepopo, der Geheimen Politischen Polizei, kündigt den Großen Makabren an.
Iain MacNeil (Schwarzer Minister), Anna Nekhames (Chef der Gepopo) und Eric Jurenas (Fürst Go-Go) © Barbara Aumüller
Nekrotzar schreibt noch an der Bar seine Weltuntergangsrede in ein kleines Buch, aus dem er sie später predigt. Dass er mitten im Satz immer wieder umblättern muss, ist witzig und macht den selbsternannten Propheten zu dem, was er eben ist: ein Hochstapler. In der Rede kommt auch Barkhatovs angekündigte „persönliche Rache“ durch „Fuck off, Stalin“ zum Ausdruck, eine Hommage an Ligeti und seine persönlichen Erfahrungen mit Stalinismus und Naitonalsozialismus. Dann: Mike Drop. Die Party spitzt sich zu, alle tanzen bis zur letzen Minute, bis zum körperlichen und psychischen Blackout. Licht aus.
Musikalisch und darstellerisch große Klasse
Generalmusikdirektor Thomas Guggeis bringt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester Ligetis apokalyptischen und virtuosen Soundtrack mit Autohupen und allen musikalischen Anspielungen quer durch die Operngeschichte geschickt zum Klingen. Die Solist:innen, alle an diesem Abend im Rollendebüt, singen und spielen durchweg ausgezeichnet. Joachim Kleins Lichtinstallationen tun ihr Eigenes, machen Trips und Endzeitvisionen effektvoll spürbar.
Nach der vermeintlichen Apokalypse raucht Nekrotzar zufrieden die Kippe danach, befriedigt annehmend, dass er ja recht hatte mit dem Weltuntergang. Dann kommt eine Putzmannschaft rein, fängt an, die Party aufzuräumen, die desillusionierten Partygäste machen sich taumelnd vom Acker. Wahrheit und Wirklichkeit kommen an. Schließlich wird der Sarg reingefahren, darin immer noch Amanda und Amando in Ekstase. Die beiden steigen aus der Totenkiste, die wieder leblose Venus wird reingelegt. Zeitgleich findet nun Venus’ Beisetzung und Amanda und Amandos Trauung statt, das Leben nimmt seinen Lauf, alles wieder auf Anfang. Währenddessen sitzt Nekrotzar allein an der Bar und schaut die täglichen Katastrophennachrichten, auch er ist in der wirklichen Realität gefangen und angekommen. Apokalypse live!