Marie-Joelle Blazejewski, Luise Hart, Philipp Kronenberg, Catherine Stoyan und Nico Link stehen verteilt auf der Bühne. Im Hintergrund ist die Pension Werner zu sehen. Alle sind in Gedanken und mit sich selbst beschäftigt.

An der Vorlage vorbei

Jan Friedrich: Onkel Werner

Theater:Theater Magdeburg, Premiere:21.09.2024 (UA)Vorlage:Onkel WanjaAutor(in) der Vorlage:Anton TschechowRegie:Jan Friedrich

Jan Friedrich inszeniert am Theater Magdeburg seine Version von Tschechows Klassiker „Onkel Wanja“. Mit „Onkel Werner“ möchte er auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen aufmerksam machen. Ein Versuch, der nicht ganz aufgeht.

Mit Windrädern verzierte „blühende Landschaften“ werden in der Spielstätte Kammer 1 des Theaters Magdeburg auf den Eisernen Vorhang projiziert. Und so jäh, wie sich Traumbilder mitunter verflüchtigen, geht der Vorhang hoch und wir blicken unverblümt (wohl aber mit Blümchentapete konfrontiert) auf ein Gasthaus, das bessere Tage gesehen hat. „Pension Werner“ steht über dem Eingang und man wähnt sich in einer mittelmäßigen Kopie eines Bühnenbildes von Anna Viebrock (Ausstattung Max Schwidlinski).

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Der Regisseur Jan Friedrich hat nach „Woyzeck“ und „Blutbuch“ (beide zum Festival „Radikal jung“ in München geladen) seine dritte Arbeit am Theater Magdeburg vorgelegt: „Onkel Werner“, eine Überschreibung von Anton Tschechows „Onkel Wanja“. Die Handlung hat er von der russischen Provinz des ausgehenden 19. Jahrhunderts ins abgehängte Ostdeutschland der Jetztzeit verlegt. Tschechows gescheiterter Kunstprofessor Alexander Serebrjaków wird bei Friedrich zu einer ausrangierten linken Politikerin mit Namen Alexandra, nicht weniger hypochondrisch veranlagt als in der Vorlage; Serebrjakóws zweite Frau Jeléna wird zu Alexandras gelangweilter junger Geliebter Elena.

Figurenproblem

Der Titelheld Onkel Wanja heißt hier Werner und macht keinen hehl daraus, dass er seine linken Überzeugungen von früher abgelegt hat. Er witzelt über Klimahysterie und beschwert sich über Geflüchtete, denen er die vermeintlich großzügige staatliche Unterstützung neidet. Dazu kommt seine Nichte Sonja, der idealistische Arzt Michaíl Ástrow aus „Onkel Wanja“, der zum Rettungssanitäter Michael mit einem esoterisch fundierten Faible für Wald und Natur wird, sowie Wanjas Mutter María, die bei Friedrich Marianne heißt. Dazu gesellt sich eine Figur namens Ingo, in der Dramaturgie des Abends weitestgehend ohne Funktion, wohl aber als Äquivalent zum verarmten Gutsbesitzer Telégin in „Onkel Wanja“ gedacht.

Die Transformation der Tschechow‘schen Vorlage wirkt vor allem konstruiert. Glaubwürdige Figuren sind nicht entstanden. Der bittere Witz in Tschechows Stück voller Schweigen und gescheiterter Kommunikation weicht hier einem recht plumpen Klamauk – Scherze über schlechte Internetverbindung inklusive. Immerhin erhält die Bearbeitung die Ambivalenz sämtlichen Bühnenpersonals aufrecht: Hier taugt niemand zur positiven Identifikationsfigur.

Das Ende des Klassikers hat Friedrich gekappt – und doch bleibt auch bei ihm zum Schluss alles so unklar wie hoffnungslos. Inszenatorisch bedient er sich etwas aus der Regietrickkiste, einschließlich längst endgültig beerdigt geglaubter Castorf-Imitationen mit Live-Kamera und unmotivierten szenischen Ausbrüchen. Und wenn es sonst gar nicht weiter geht, lässt halt jemand die Hose runter.

Psychologisch rechts

Das zentrale Problem dieses Theaterabends, der am Vorabend der Landtagswahl im benachbarten Brandenburg seine Premiere feierte, bleibt jedoch die Anlage der Figur Werner. Der sei früher einmal links gewesen – was immer das auch genau heißen mag. Sein Rechtsruck wird in „Onkel Werner“ zum Symptom einer Midlife-Crisis. Die zunehmende Faschisierung, die man derzeit in den neuen Bundesländern beobachten kann, wird hier exemplifiziert als rein psychologisches Problem eines nicht ganz unsympathischen Mannes.

Der AfD-Wähler mit Mutterkomplex als letztlich irgendwie niedliche Figur. Ganz so, als würden nicht bereits wieder Flüchtlingsunterkünfte zu Anschlagszielen. Auch der Umstand, dass man hier nach dem Klischee des alleinstehenden Mannes mit unklarer beruflicher Perspektive greift, wirkt kurzgegriffen und mutlos angesichts der Tatsache, dass die von Werner zur Schau gestellten Überzeugungen eine sehr breite Basis kennen, auch unter jungen Menschen. Als Beitrag zu einer Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verwerfungen ist die Inszenierung ungeeignet.