Foto: Viktor Tremmel, Björn Meyer, Peter Schröder, Paula Hans, Justus Pfankuch und Heidi Ecks © Birgit Hupfeld
Text:Alexander Jürgs, am 10. Dezember 2016
Es gibt diese Szenen, die schmerzen, die vom Wahnsinn erzählen. Szenen, in denen Gewalt, Tod und Sexualität verschmelzen. Wenn Paula Hans als Königin Alkestis den Körper dehnt, wenn sie sich verrenkt und in die Höhe streckt. Wenn die Körper aneinandergeraten, wenn man nicht mehr auseinanderhalten kann, ob diese Liebenden sich nun gerade beißen oder küssen. Oder die Szene, in der der Tod – gespielt von Viktor Tremmel im biederen Look des Studienrats, aber mit grell-rosa lackierten Fingernägeln – sich Alkestis nähert, in der er, von hinten kommend, ihr die Kleider abnimmt und sie plötzlich da steht, verletzlich, der Kopf kahl, nackter Oberkörper, mit Blutschlieren im Gesicht. In diesen Szenen hat das Stück Härte, in diesen Szenen werden die Verzweiflung und der Schmerz spürbar.
„Alkestis“ erzählt von einer Frau, die sich für ihren Mann opfert. Die den Tod wählt, um ihm diesen Tod zu ersparen, dem Staatsmann Admetos, dem König von Thessalien, gespielt von Nico Holofernes. „Meinen Körper gab ich ihm hin, nun gebe ich ihm mein Leben“, sagt Alkestis in dem Stück. Es ist die die deutsche Übersetzung einer Neubearbeitung eines antiken Stoffes. 438 vor Christus wurde Euripides’ Tragödie uraufgeführt, der britische Autor Ted Hughes hat seine Fassung 1998 geschrieben, in den Kammerspielen des Frankfurter Schauspiels läuft nun die Erstaufführung der deutschen Übersetzung von Durs Grünbein. Dieser neue „Alkestis“ ist klar in der Sprache, direkt, rau.
Dass Ted Hughes sich dem Stoff angenommen hat, wurde häufig auch als Buße gedeutet. Seine Ehefrau, die Schriftstellerin Sylvia Plath, hatte sich 1963 das Leben genommen, im Jahr, nachdem Hughes sie wegen einer anderen verlassen hatte. Und auch diese Frau, die Autorin Assia Wevill, ging später freiwillig aus dem Leben. Bei ihrem Suizid nahm sie das gemeinsame Kind, das sie mit Hughes hatte, mit in den Tod. Es verwundert also nicht, dass nach Parallelen zwischen Hughes und der Figur des Admetos, der überlebt, weil seine Frau für ihn stirbt, gesucht wurde.
Julie Van den Berghe hat das Stück inszeniert. Die niederländische Regisseurin, Jahrgang 1981, hat bereits für die Münchener Kammerspiele gearbeitet, in ihrer Heimat wird sie im kommenden Jahr als künstlerische Co-Leiterin ans Noord Nederlands Toneel Theater in Groningen gehen. Ihre Inszenierung, die mit starken, schmerzhaften Bildern begann, fasert leider sehr bald aus, gerät zur bloßen Aneinanderreihung von schrägen Szenen. Man meint, Versatzstücke aus dem Horrorfilm-Kino auszumachen, man entdeckt surrealistische Motive, die Kostüme von Joris Suk und Tessa de Boer (die sich als Duo „Maison The Faux“ nennen) hätten auch den Stars der Glamrock-Ära gut gestanden.
Es wird Gitarre gespielt, ein Song des Selbstmörders Kurt Cobain wird gesungen, genauso wie Britney Spears größter Hit „Hit Me Baby One More Time“ (inklusive Simultanübersetzung ins Deutsche). Es werden auch eine Handvoll Witze erzählt. Und Herakles ist in dieser Inszenierung kein athletischer Held, sondern ein fettleibiger Koloss, der unter der Bettdecke masturbiert und Dosenbier trinkt. In der Flut der flachen Gags und Regieeinfälle geht der eindringliche Text mehr und mehr unter. Eine Linie, ein roter Faden, mehr Konzentration hätten dieser Inszenierung gut getan. Verdient hätte Grünbeins großartige „Alkestis“-Übersetzung das allemal.