Zwei Personen stehen inmitten bunter Nebelschwaden. Von vorne kommt Wind. Sie schreien ihm entgegen.

Erster Kuss, erste Liebe

Annalisa Arione, Dario de Falco: Geschichte eines Nein

Theater:Theater Heilbronn, Premiere:26.04.2025 (DSE)Regie:Sarah Speiser

Sarah Speiser inszeniert am Theater Heilbronn die deutschsprachige Erstaufführung von „Geschichte eines Nein“, ein Stück der italienischen Autor:innen Annalisa Arione und Dario de Falco. Die Inszenierung zeigt einem jungen Publikum, wie das Setzen von Grenzen innerhalb einer Beziehung aussehen kann.

Choderlos de Laclos’ 1782 veröffentlichter Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ wurde weltberühmt. Heiner Müller nahm ihn zum Anlass, um daraus sein 200 Jahre später uraufgeführtes „Quartett“ zu destillieren – bis heute sein erfolgreichstes Stück, das von einem sexualisierten Machtkampf mit ständigen Rollenwechseln handelt, gewürzt mit der müllertypischen Bittermandel-Essenz.

Wenn jetzt in der Boxx des Heilbronner Theaters in der Deutschsprachigen Erstaufführung der „Geschichte eines Nein“ zwei junge Herzen zueinander finden und dabei die gesamte emotionale Bandbreite zwischen himmelhoch jauchzend und verzweifelter Gewaltbereitschaft erleben, dann tummeln sich die viel zitierten Schmetterlinge im Bauch einmal mehr im Rausch der mit Endorphinen gewürzten Frühlingsluft. Zugleich drohen schmerzliche Abstürze, weil sich die Hochgefühle mit Verlassensängsten, Besitzansprüchen und Konflikten im schulischen oder familiären Umfeld zu einem Cocktail mischen, der den Beteiligten mehr als sauer aufstößt.

Genau mit dieser Gemengelage konfrontiert das extra zur Heilbronner Premiere aus Italien angereiste Autoren-Doppel Annalisa Arione und Dario de Falco sein Zielpublikum ab zwölf Jahren. Flotte Dialoge, zugespitzte Pointen und ein tiefenpsychologisch geschulter Blick in versteckte Seelenwinkel zeichnen diesen von Sarah Speiser mit versierter Hand inszenierten Abend aus.

Ensemble zu zweit

Magdalena Lehnen und Chris Carsten Rohmann spielen nicht nur das jugendliche Dream-Team Martina und Alessandro, das durch Zweifel und Anspruchsdenken mehrfach an albtraumatischen Situationen vorbeischrammt. Sie sind auch fürsorglicher Vater (von Martina) oder geprügelte Mutter (von Alessandro). Hinzu kommen etliche andere Kleinstrollen, die das Darstellerduo mit kauzig grimassierender Lust oder schlaksiger Lässigkeit auskostet.

Ausgangssituation ist ein Bedrohungsszenario im Stadtpark, wo die 14-jährige Martina von einem fiesen Kerl verfolgt wird. Alessandro hilft ihr aus der Bredouille – und prompt vergucken sich die beiden ineinander. Erster Kuss, erste Liebe. Aber fühlt sich alles richtig an? Geht Alessandro mit seinem frisch entflammten Partnerschaftsegoismus nicht viel zu weit?

Martina kann diese Fragen nicht so recht beantworten und traut sich nicht, ihren Herzensbrecher auch mal durch ein „Nein“ auf die für sie richtigen Liebespfade zu lenken. Er könnte das ja missverstehen und sie verlassen. Zweifel nagen an ihr – bis Alessandro in einer Wutexplosion beinahe handgreiflich wird. Erst jetzt fasst Martina all ihren Mut zusammen und mutiert zur selbstbewussten Schlussmacherin, während der verlassene Alessandro seiner geprügelten Mutter zur Seite steht – als Frustbolzen, der aber bald einsehen wird, dass zu einer echten Liebe ganz viel Toleranz und Verständnis gehören.

Einfach aber eindrucksvoll

Es ist ein typisches Mutmacherstück, das in seiner Machart an die frühen Jahre des Berliner Grips-Theaters erinnert. Die Heilbronner Truppe setzt darauf, dem Selbstvertrauen der jungen Besucherschar Schmetterlingsflügel zu verleihen und zu beweisen, dass gefährliche Liebschaften mit all ihren Abstürzen eben nicht das Ziel sind, sondern gefahrlose Glücksmomente.

Eva Butzkies hat die Heilbronner Boxx in eine flauschige blaue Kissenlandschaft verwandelt. Dazu ein paar weiße Elemente, die als Küchentisch oder schmale Badezimmer-Säule genutzt werden können. Erst im weiteren Verlauf des 85-minütigen Abends erkennt man, dass man aus diesen Elementen auch das Wort „NEIN“ in Großbuchstaben bilden könnte. Das ist ein geschickter gestalterischer Schachzug, der mit einfachen Mitteln ganz viel bewirkt. Wirkungsvoll ist diese Inszenierung auch aus der Sicht des Premierenpublikums, das sich am Ende zu 80 Prozent zu stehendem Applaus erhebt – verdientermaßen für alle Beteiligten.