Foto: In Wolfgang Maria Bauers "Bayernsonate" taucht ein Dada-begeisterter Wolpertinger (Julian Niedermeier) auf. Hier zu sehen mit Ensemble. © Peter Litvai
Text:Christian Muggenthaler, am 13. April 2019
Jedes Jahr im Frühling besinnt man sich in Landshut der bairischen Tradition des Volkstheaters und bündelt die Kräfte. Im kleinen theater – Kammerspiele Landshut einerseits gibt es dann ein Wochenende lang die „Sperr-Tage“, an den niederbayerischen Dramatiker Martin Sperr erinnernd, am Landestheater Niederbayern andererseits die Volkstheatertage, die im Wesentlichen aus der Lesung von Texten eines Stückewettbewerbs sowie einer Uraufführung bestehen. In diesem Jahr ist letzteres ein szenischer Liederabend, eine „Bayernsonate“, die der Schauspielleiter Wolfgang Maria Bauer geschrieben und inszeniert hat: Eine turbulent-anarchische Gaudi sollte es wohl werden, zu sehen ist aber vor allem die Mühsal, es unbedingt zu einer solchen machen zu wollen. Eine Anstrengung, die anstrengend wirkt.
Vor allem vor der Pause herrscht Ratlosigkeit; irgendwie soll eine Geschichte erzählt werden über einen aufzustellenden Maibaum, der bewacht werden muss, weil man halt in Bayern so gerne solche Maibäume stiehlt und sie sich durch einen Haufen Gratisbier wieder auslösen lässt. Eine Tradition, die in der „Bayersonate“ sehr am Rand vorkommt, zugleich aber wie ein Spieß die ganzen unverbundenen Bühnenerzählungsbrocken zusammenhalten soll. Funktioniert aber nicht, weil‘s nur angedeutet und nicht auserzählt wird. Stattdessen fährt Bauer ein Sammelsurium an Personal auf, das in Solonummern auf die Bühne kommt, kaum eine gemeinsame Geschichte und Konturen entwickelt und sich des Öfteren herb der Klischees bedient: die wodkasaufende Ukrainerin, die sexbesessene Hure, der menschenverachtende Selbstmörder.
Dazu kommen in einem malerischen Bauernstadel (Ausstattung: Aylin Kaip): eine vierköpfige Band, eine schwarze Amerikanerin, ein Wandersmann, eine Heimatvereinsvorsitzende und ein wunderschön anzuschauender Wolpertinger, jenes bairische Legendentier – verkörpert von Julian Niedermeier, der wiederum wirklich wunderschön anzuhörend Lautkaskaden aus der „Ursonate“ von Kurt Schwitters rattern lässt. Das ist denn auch eine Ansage und eine Botschaft: Wir sind hier mitten im Herz des Dada, Volkstheater hat auch eine anarchistische Tradition, ätsch. Die Frage ist halt jetzt nur, ob dieser Unterbau zugleich eine Rechtfertigung sein kann für eine solch planlose Beliebigkeit von Darstellung und Figuren, die dazu führt, dass keinerlei Spielfluss entstehen kann, die Sache also schlicht fad wirkt und nicht vom Fleck kommt.
Vor allem, weil man zwischendurch bemerkt: Es ginge ja auch anders. Denn nach der Pause leuchtet mit einem Mal eine Idee durch: Niederbayern bedarf keiner musealen Heimattümelei, sondern ist ein konkreter, politischer Ort, den man, wenn man ihn lieben will, auch verteidigen muss gegen vergangenheitsorientierte Lederhosenfaschisten. Da wird liedtechnisch allerlei treffendes Geschütz aufgefahren, Lieder von Hannes Ringlstetter, Konstantin Wecker und Hans Söllner. Ansonsten bildet das von den Schauspieler-Musikern Julian Ricker, Stefan Sieh, David Lindermeier und Thomas Eingartner profund intonierte Liedgut ein Potpourri aus der in Bayern sakrosankten Spider Murphy Gang und Nick Cave, Peter Cornelius und Martia Schwarzmann. Das ist alles recht nett, knallt aber auch nicht so richtig.
Ein lautmalerischer Liederabend über die Bayernseele also, der sehr bruchstückhaft zusammengestückelt und unfertig wirkt, aber von den Darstellern beherztestmöglich umgesetzt wird. Vor allem Antonia Reidel als Rosi und Paula-Maria Kirschner als Zenzi geben Saft und Kraft. In Landshut kommt aufgrund des jahrelangen Umbaus des Theaterhauses als weiteres Problem das Theaterzelt hinzu, das keine günstigen Umstände bietet und eine fette vierte Wand einzieht, die zu überbrücken viel Kraft und Einfallsreichtum benötigt. Bei der „Bayernsonate“ reicht beides in einem halbvollen Zelt kaum, aber wegen eines eindeutig amüsierwilligen Publikums wird zuletzt kräftig gejubelt.