The Addams Family: Iris Atzwanger, Carlotta Hein, Emma Kretschmer, Michael Kamp, Holger Kraft, Maike Elena Schmidt, Gregor Loebel, Svea Schiedung

Wenn das Unkonventionelle auf Konvention trifft

Andrew Lippa: The Addams Family

Theater:Staatstheater Mainz, Premiere:22.03.2025Vorlage:The Addams FamilyAutor(in) der Vorlage:Marshall Brickman und Rick EliceRegie:Christian BreyMusikalische Leitung:Tobias CoslerEinstudierung:Yoko El Edrisi

Regisseur Christian Brey führt das Publikum beim Musical „Addams Familiy” am Staatstheater Mainz in eine Welt, in der familiäre Geheimnisse und gesellschaftliche Normen aufeinanderprallen. So verschmelzen dunkle Leidenschaft und traditionelle Werte zu einem spannungsgeladenen Abend, der zum Infragestellen gewohnter Konventionen anregt.

Schon 1938 legte Charles Addams mit der Veröffentlichung seiner einprägsamen Ein-Bild-Cartoons im New Yorker Magazin den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte, die später in Adaptionen von Zeichentrickfilmen, Fernsehserien, Tanzstücken und Videospielen ihren Nachklang fand. Seitdem ist der Familienclan der Addams ein Symbol für das Aufbrechen gesellschaftlicher Normen. Nach einer Broadway-Produktion, zwei erfolgreichen UK-Tourneen und einem ausverkauften Konzertabend im London Palladium kann nun auch das deutsche Publikum seinen Zugang in diese schrullige, doch tiefgründige Welt finden.

Ungewöhnliche Romanze und familiäre Loyalität

Im Zentrum steht Wednesday Addams (Carlotta Hein), die inzwischen erwachsen ist und als einstige Prinzessin der Dunkelheit ein Geheimnis in sich trägt: Sie hat sich in Lucas Beineke (David T. Meyer) verliebt – einen jungen Mann aus einem streng bürgerlichen Haushalt im US-Bundesstaat Ohio, der das komplette Gegenteil des exzentrischen Addams-Universums verkörpert. Das Musical von Marshall Brickman und Rick Elice, untermalt von der Musik und den Texten des Tony-Award-nominierten Andrew Lippa und mit einer deutschen Übersetzung von Anja Hauptmann, erzählt diese komisch-romantische Coming-of-Age-Geschichte.

Die Beziehung der beiden bleibt nicht lange verborgen: Ihre Familien sollen sich bei einem gemeinsamen Abendessen kennenlernen – ein Versuch, die Gegensätze zu überbrücken. Wednesday und Lucas instruieren ihre Familien, sich für einen Abend „normal“ zu verhalten, doch dieser Plan gerät schnell ins Wanken. „Was ist schon normal“ fragen sich alle. Während die Beinekes an ihrem geordneten, überspitzt dargestellten Weltbild festhalten, brechen die Addams jegliche Konventionen mit makabrem Charme und unerschütterlicher Selbstverständlichkeit. Die Begegnung eskaliert, und die heimliche Romanze wird zur Zerreißprobe für beide Familien.

The Addams Family: Maike Elena Schmidt, Michael Kamp, Gregor Loebel, Anika Baumann, Klaus Koehler

Aufeinandertreffen der Familien in der Addams-Villa (Maike Elena Schmidt, Michael Kamp, Gregor Loebel, Anika Baumann, Klaus Koehler). Foto: Andreas Etter

Besonders für Wednesdays Vater Gomez (Michael Kamp), dessen moralische Integrität seit jeher das Fundament der Addams bilden, bedeutet die Situation einen inneren Konflikt: Kann er das Geheimnis seiner Tochter bewahren, ohne das Vertrauensverhältnis zu Ehefrau Morticia (Maike Elena Schmidt) zu gefährden? Die Spannung zwischen individueller Liebe und kollektiver Loyalität bildet den dramatischen Kern des Stücks.

Gesellschaftskritik und subversiver Humor

Die Inszenierung von Christian Brey nutzt den Gegensatz zwischen konservativen und rebellischen Werten als Ausgangspunkt für eine feinsinnige, gesellschaftskritische Auseinandersetzung. Ein subtiler „Swing State“-Kommentar über den Herkunftsort der Beinekes hebt den politischen Wandel zwischen Liberalismus und Konservatismus hervor – eine Thematik, die über die Grenzen der USA hinaus von aktueller Bedeutung ist. Humorvoll verpackte Anspielungen, wie etwa auf unzureichende Altersvorsorge, lockern die ernste Thematik auf und regen das Publikum zum Nachdenken über unsere sich wandelnde Welt an. Wortwitze, die in der deutschen Übersetzung verloren gehen, umgeht die Inszenierung am Staatstheater Mainz geschickt, indem sie eigene humorvolle Elemente integriert, die die pseudo-schlau wirkenden Beobachtungen auf den Kopf stellen. Durch direkten Kontakt mit dem Publikum entsteht eine spürbare Nähe, und so bleibt der subversive Humor der Addams-Familie als Spiegel aktueller sozialer Debatten lebendig – ohne ihren eigenwilligen Charme zu verlieren.

The Addams Family: Emma Kretschmer und Carlotta Hein

Freude an der Qual zwischen den Addams-Geschwistern (Emma Kretschmer und Carlotta Hein). Foto: Andreas Etter

Fein abgestimmtes Gesamtbild

Auf der Bühne entfaltet sich ein chaotisch anmutendes Familienfest, das in einem dramatischen Abendessen seinen Höhepunkt findet. Das eher minimalistisch gehaltene Bühnenbild bleibt dem Ursprungsort des Stückes, dem New Yorker Central Park, treu und sorgt mit der detailreichen Ausstattung von Anette Hachmann und Elisa Limberg für Ausgleich. Dabei ist die dynamische, düstere Atmosphäre so überzogen, dass sie fast schon partytauglich wirkt. Das große Familieninitial „A“ markiert die Villa im Park als eine Welt für sich: Hier versuchen nicht die „Anderen“ in die „normale“ Gesellschaft einzutreten – hier passiert das Gegenteil. Die Skyline im Hintergrund rundet die visuelle Gestaltung ab.

Wesentlich zum Erfolg des Abends trägt die musikalische Leitung von Tobias Cosler bei: Durch das fein abgestimmte, klanglich hervorragend einstudierte Arrangement erhält jeder Charakter – ganz im Sinne Lippas – seine eigene musikalische Identität. Während Gomez mit einer feurig-spanischen, beinahe flamencoartigen Melodie auftritt, wird Wednesday von modernen, zeitgenössischen Klängen begleitet. Musik und Choreografie (Yoko El Edrisi) greifen dabei präzise ineinander.

Svea Schiedung als Tassel, eines der vielen Haustiere der Addams

Svea Schiedung als Tassel, eines der vielen Addams-Haustiere. Foto: Andreas Etter

Besonders beeindruckt die Leistung des Ensembles: Carlotta Hein verleiht der rebellischen Wednesday ihren unverwechselbaren Charakter, während Holger Kraft als Onkel Fester mit grotesker Komik unvergessliche Akzente setzt: zum Beispiel mit einer herzerwärmenden Liebeserklärung an den Mond. Die zombieartigen Auftritte von Butler Lurch (Gregor Loebel) erinnern an Frankenstein und sorgen für Gelächter im Publikum, als er am Ende mit tiefem Bass seinen Arien-Moment bekommt.

Mit dunklem Humor und einem Augenzwinkern entführt uns diese „Addams Family” in eine Welt, in der das Ungewöhnliche das Gewohnte herausfordert, um mit scharfsinnigem Blick unsere Konventionen zu entlarven.