Die steif aufgerichteten Körper steigern sich zu knirschender Elektroakustik mit dumpfen Einschlägen (Komposition und Sounddesign: Julien Tarride) langsam in ein immer eckigeres Stampfen und Marschieren. Die Interpreten gehen zu Boden. Auch später werden sie ab und an laut schreien. Sie schnallen sich vom Dachfirst ab, den sie weiter gemeinsam über ihren Köpfen zu tragen versuchen. Vergebens. Der Friede ist dahin. Nach faszinierenden ersten 15 Minuten bauen sich seitlich der Bühne dicke Festungsmauern auf. Am Boden schieben sich dreieckige Keile dazwischen, die am Ende noch einmal anders zum Einsatz kommen werden: als verspiegelte Bruchteile einer in Schutt und Asche gelegten Stadt, während davor ein Mann und eine Frau sich in einem langen Duett begegnen. Der letzte Blick auf die im gewaltsamen Liebesakt bezwungene Frau ist der auf ihr zum stummen Schrei verzerrtes Gesicht.
Bedrückende Aktualität
Die Herausforderung bei diesem selbstgewählten Werk erscheint gigantisch. Inhaltlich von Euripides antiker Tragödie „Die Troerinnen“ ausgehend hat Foniadakis mit der Gärtnerplatz-Kompanie ein dezidiert tanztheaterartiges wie dramatisches Gruppenstück entwickelt. Es spielt im Nachgang der verheerenden Katastrophe des Trojanischen Kriegs, den Foniadakis auch sinnbildlich als Mahnmal für die bewaffneten Konflikte aller Zeiten unter uns Menschen einsetzt. War Krieg in Europa bereits ein großes Thema, als die Produktion vor eineinhalb Jahren beschlossen wurde, so hat das Ganze durch den Gaza-Konflikt noch an weiterer Aktualität gewonnen. Die Erkenntnis keimt hier auf, dass sich an der Absurdität grausamen Leids – verursacht durch kriegerische Auseinandersetzungen – seit Euripides՚ Tragödie „Die Troerinnen“ nichts geändert hat.
Der Uraufführung „Troja“ haftet somit auch etwas Traumatisierendes an. Man könnte sie vielleicht mit Edward Munchs „Der Schrei“ vergleichen – so verstörend ist der Abend und zugleich unheimlich reich an momenthaften Assoziationen. Diese lassen sich nicht unbedingt ausschließlich der Dramenvorlage zuordnen. Beharrlich wiederholen sich Szenen voller Schmerz und Verzweiflung. In dieser Iterativität liegt einerseits die Schwäche von Foniadakis՚ Tanzabend, andererseits auch seine Stringenz und Stärke.
Betäubende Gewalt
Sporadisch finden sich die Tänzerinnen und Tänzer in Formationen zusammen, die eine Art Zusammengehörigkeit wie in Folkloretänzen heraufbeschwören. Dann wieder brechen Interpreten zusammen, greifen nacheinander, helfen sich oder ringen sich gegenseitig nieder. Im Lauf der Choreografie mag das sogar ein Abstumpfen des Mitfühlens beim Zuschauer zur Folge haben. Was nachvollziehbar erscheint, wenn man bedenkt, dass sich in „Troja“ alles um die Erschütterung jeglicher Normalität dreht.
Trojas überlebende Frauen haben nichts mehr außer sich selbst, ihre Erinnerungen und das Gefühl machtloser Wut. Der Vorstellung vom Kollektiv misst Foniadakis großes Gewicht bei. Einzelne Charaktere stellt er ebenso wenig heraus wie er Handlung nacherzählt. Die einzige Figur, die jeder sofort und eindeutig erkennt, bleibt Astyanax, Andromaches Sohn, der in den Tod gestoßene Thronerbe. Stets müssen die verletzlichsten Individuen den höchsten Preis bezahlen. Am Ende tragen die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts des Staatstheaters am Gärtnerplatz den Sieg davon. Mit ihrem schonungslosen Totaleinsatz sind sie die eigentlichen Helden dieses kruden, verstörenden Abenteuers.