Foto: Gibt es da überhaupt noch die Möglichkeit zum Voten? Zu sehen: Moderator Harald Gottwitz (Thomas Erlank). © Herwig Prammer
Text:Tobias Gerosa, am 29. Juni 2019
Die Menschheit ausrotten? Alle nach Elpisonia evakuieren? Die Erdrotation außer Kraft setzen? Oder doch die große, vielleicht finale Space-Party? Voten Sie! Die Alternativen, die Librettist Dominik Riedo und der Zürcher Komponist Michael Pelzel in ihrer ersten Oper «Last Call» geben, sind wenig verheißungsvoll. Aber auf die Machtübernahme der Urchips muss reagiert werden – auch wenn offen bleibt, was diese Bedrohung eigentlich ausmacht. Der Urguru (Ur-Guru wäre die verständlichere Schreibweise) jedenfalls wappnet sich mit zeremoniellem Schmuck und ringt hörbar um jedes Wort – Ruben Drole tastet sich mit Rand-, Sprech- und Fistelstimme an verständliche und dann endlich ausgesungene Textteile heran; so wie sich auch die Musik erst langsam aus dem undefinierten Industrielärm herausschälen muss, der das Publikum auf der Studiobühne tief unter dem Opernhaus empfängt.
Erst umrundet man die Bühne und wähnt sich bei den Gittern rund ums umfangreiche Schlagwerk wie in einem Gefängnis – überhaupt tat Bühnenbildnerin Sonja Füsti viel, um einen unwirtlichen (aber ganz konventionell frontal bespielten) Raum zu gestalten, der erst durch die Videos von Ruth Stofer Farbe und Bewegung bekommt. Was da genau los ist, warum diese Endzeitstimmung herrscht, interessiert die Autoren nicht. Vielmehr geht es ihnen um die Stimmung. Zwei oft perkussiv verwendete Klaviere, die nicht nur auf der Tastatur, sondern mit Gläsern und Bürsten oder direkter Bearbeitung der Saiten gespielt werden, und Schlagwerk wie Klangschalen, Gongs und Glocken oder Glockeneffekte setzen den ersten klanglichen Schwerpunkt inhaltlich auf die Bedrohung durch die Technik. Auf der anderen Seite sind die flatternden, oft im Flageolett gespielten Streicher, wobei gerade die beiden Celli durchaus auch romantische Kantilenen haben: Es gibt offenbar doch noch eine Art Gegenwelt, auch wenn der Urguru mit Bildern von Elektroschrott, Kabelsalaten und schließlich über den „Histomaten“-Bildschirm eine übertechnisierte und kaputte Welt vorführt. In ihr funktioniert auch die Kommunikation nicht mehr. Wo der Guru stotterte, benutzt der Showmaster der folgenden Weltrettungs-TV-Show eine bewusst falsche, verzerrte Sprache – leider verzichtet man diesmal auf Übertitel, der Verständlichkeit hätten sie sicher geholfen.
Eigentlich wäre die Musik schon fordernd genug. Das Ensemble Opera Nova aus der Philharmonia Zürich unter Jonathan Stockhammer spielt sie, ob mit konventioneller Technik oder Wassergläser umgießend, plastisch und aufmerksam, auffällig genau ist die Dynamik ausgearbeitet. Aber immer wieder ertappt man sich als Zuschauer, die Musik als Soundteppich mitzunehmen – auch weil Regisseur Chris Kondek und sein Team theatralisch aus dem Vollen schöpfen, wenngleich der Text nicht sehr viele Handlungsszenen vorsieht: Da ist der auf drei Ebenen bespielte Raum, da sind Laufschriften, einkomponierte beziehungsweise in der Partitur verlangte Offstimmen, Videos an verschiedenen Projektionsorten und die von Julia von Leliwa in Sience-Fiction-Fantasy-Kostüme gesteckten sechs Solistinnen und Solisten.
Neben dem erwähnten, rätselhaften Urguru und dem androgyn-geschleckten Moderator (Thomas Erlank) gibt’s die vier Kandidaten der Weltrettungsshow: Annette Schönmüller als Sulamit Hahnemann kommentiert erst aus der ersten Zuschauerreihe, bevor sie den wissenschaftlichen Vorschlag macht. Wird sie darum auf der Erde vergessen, als plötzlich noch vor dem Voting die große Evakuation beginnt?
Diesen zweiten Akt hat man besser gelesen vor der Vorstellung, auch die Musik setzt hier auf die große, laute Überwältigungsgeste. So schafft sich der Übergang zum leiseren dritten Akt, in dem sich Sulamit und Johnny (oder ist er noch der Femen-Aktivist aus der TV-Show, der sich als anderer ausgibt?) allein zurückgelassen auf der verlassenen Erde wiederfinden. Sie müssen sich auch musikalisch erst wieder an eine Kommunikation herantasten. Schön zu hören, wie sich die einsam kreisenden Fetzen langsam zu gemeinsamen Kantilenen entwickeln. Schönmüller und Christina Daletska bekommen von Komponist Pelzel wie Regisseur Kondek dankbare und erfüllt ausgeführte Aufgaben.
Der letzte Flug zum utopischen Rettungsplaneten Elpisonia kehrt schließlich um. Was ist jetzt die bessere Lösung: Sollen sie einsteigen oder zu zweit einen Neustart auf der Erde wagen? Den Apfel reichen sich die letzte/erste Frau und der letzte/erste Man jedenfalls schon mal. Dieser offene Schluss passt gut zur doch ziemlich verrätselten Handlung. Mit dieser Endzeitgeschichte setzt das Opernhaus Zürich die bereits in der letzten Spielzeit begonnene Reihe von Uraufführungen Schweizer Komponisten fort. Es gäbe dafür vielleicht günstigere Zeiten als der heiße Schluss einer Spielzeit. Und das Neue könnte doch auch noch mehr ins Zentrum der Saison!