Foto: Comichafte Anwandlungen: "Wir so: Welt retten" - Ensemble © Alex Wunsch
Text:Manfred Jahnke, am 8. März 2020
Auf den 18 Podesten im Spielraum des Jungen Ensemble Stuttgart stehen, auf Sperrholz befestigt, lebensgroße Figuren aus der Comic-Szene, Superman beispielsweise, Spiderman, Superwoman, das Pferd mit dem merkwürdigen Horn, aber auch Jesus oder Buddha und zentral in der Mitte der Hinterwand die Freiheitsstatue (Ausstattung: Theresa Scheitzenhammer). Nebel wallt, wenn nacheinander vier Kinder auftreten: zuerst der Römerjunge Titus (Faris Yüzbaşioğlu), dann die Ruth der Laura-Sophie Warachewicz, schließlich Emmanuel (Sibel Polat). Ganz zum Schluss kommt Amon (Gerd Ritter), dessen Eltern aus Babylon stammen. Das widersprüchliche Bild aus der Popcomickultur und einer Gruppe spielender Kinder, die ganz offensichtlich einer anderen Zeitebene angehören, die über 2000 Jahre zurückliegt, bestimmt die Inszenierung von Sascha Flocken am Jungen Ensemble Stuttgart. Die unterschiedlichen Zeitebenen spiegeln sich gegenseitig, brechen sich, mischen sich, wobei noch merkwürdiger ist, was diese Kinder spielen: Geschichten aus dem Alten und dem Neuen Testament. Gleich zu Beginn stellen sie die Geschichte vom Auszug aus Ägypten nach, kommentieren diese, überprüfen die Wahrscheinlichkeit der mythologischen Erzählung. Später wird sich herausstellen, dass sie die Geschichten nachspielen, die ihnen der Rabbi, ihr Erzieher, erzählt.
Fremd wirken auch die Kostüme, die ebenfalls eine Mischung aus historisierenden und comichaften Elementen sind. Alle vier haben T-Shirts mit Symbolen aus Comics, sie tragen silberne Leggings, silberne Sandalen und silberne Sporthosen – und wirken damit so, als kämen sie von einem anderen Stern. Der Rabbi, den Gerd Ritter abgeklärt-humorvoll verkörpert, und Maria, die Mutter von Emmanuel, von Laura-Sophie Warachewicz dargestellt, haben eher Kostüme, die zwar zeitlos zugeschnitten sind, aber auch in die Zeit von Christus passen. Die Erwachsenen bewegen sich zudem auf zwei hohen Kothurnen, die große Styroporwürfel sind. Ins Zentrum des Spiels rückt dabei mehr und mehr Ruth, die nicht einsehen kann, dass die Römer ihr Land besetzt halten. Sie will nicht die Mahnung ihres Lehrers annehmen, Geduld zu haben und abzuwarten. Sie möchte gleich handeln – und die Verbindung zur Klimakatastrophe ist auch nicht weit. Die Erwachsenen hingegen akzeptieren ihr armseliges Los.
Amon wiederum will nach Rom, Emmanuel erfährt von der Prophezeiung, dass er die Welt erlösen werde, aber Zauberkraft will sich nicht herstellen. Immer wieder lässt die Regie die vier Darsteller sich in Comichandlungen verwickeln, bis am Ende der Rabbi geht, um einem Neuen, der schreiben und lesen kann, Platz zu machen. Aber auch die vier Kinder werden erwachsen, die Hinterbühne öffnet sich und die Comicfiguren werden auf die Hinterbühne getragen. Thilo Reffert hat mit dem Auftragswerk „Wir so: Welt retten“ ein schön-grausliches, anarchisches Spektakel geschrieben. Die Regie von Sascha Flocken hat es weitergetrieben, indem sie nachdenkliche Momente und Action vorantreibt und durcheinanderquirlt mit einem hervorragenden Ensemble, aus dem Gerd Ritter und Laura-Sophie Warachewicz, die noch Schauspiel an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart studiert (ein großartiges Talent!), herausragen.
Ach ja, einfach so die Welt retten, geht aber auch nicht. Wenn man erwachsen ist, will man sich da nicht einfach mit der Welt arrangieren und hat da kaum Interesse, sie zu retten? Ewiges Generationsproblem. So kann man das Stück auch als eine Erzählung auf Greta Thunberg begreifen, als Verbeugung vor den Kindern, mit dem bitteren Nachgeschmack des gelassenen Erwachsenen.