Foto: Szene aus Juli Zehs "Good morning, boys and girls". © Peter Empl
Text:Anja-Maria Foshag, am 23. Januar 2012
Ohne den bruchsaler Kreisschützenverband in irgendeiner Weise verdächtig machen zu wollen: Dass ausgerechnet zur Premiere von „Good morning, boys and girls“ hochdekorierte Schützen das Bild im Gemeindehaus in Bruchsal bestimmen, das auch Aufführungsort von Juli Zehs Stück über einen Amoklauf ist – besser hätte man es sich nicht ausdenken können. Anders als das Stück selbst, das reich an schiefen Bildern, aber arm an Tiefe ist. Was Regisseur Joerg Bitterich aus der Vorlage gemacht hat, kann im Ganzen dennoch überzeugen.
Scheiß erledigen, Clip abfeilen, Sporttasche kaufen, Pläne besorgen: Jens/Cold ist ein normaler 16-Jähriger und ist es doch nicht. Heimlich, akribisch und über Monate plant er seinen Amoklauf an seiner Schule und fingiert in fiktiven Gesprächen mit seinen Eltern als CNN-Reporter seinen Nachruhm. Selbstprogrammierung und –inszenierung als beinahe-genialischer Todesschütze, so scheint es, lassen ihn zunehmend die Fühlung mit der Wirklichkeit verlieren; und den Zuschauer in wachsender Verwirrrung darüber zurück, auf welcher Erzähl– und Handlungsebene operiert wird: Was findet wirklich statt?
Schwächen der Inszenierungen sind Schwächen des Texts: In Zehs Vorlage ist die Wirklichkeit, worauf sich sechs Milliarden Fernsehzuschauer geeinigt haben, die Welt ein Gehege, Liebe ein Marketingeinfall und Gott tot. Die Dramatikerin will viel: Globalisierungs-, Kapitalismus und Medienkritik, auf einmal. Das ist nicht blöd und nicht zuletzt der Versuch, viele verschiedene Ursachen für einen Amoklauf in den Blick zu bekommen, ohne abschließende und monokausale Erklärungen anzubieten; allerdings: Zeh verliert sich in Phrasen und lässt unangenehm un(ter)bestimmt.
Dass das Stück in Bruchsal trotzdem aufgeht, liegt an der dichten Inszenierung, die stimmige Bilder für Colds Kopfkino und Wahn – sowie im kleinen Raum des „Hexagon“ den richtigen Rahmen – findet. Im Bühnenbild von Dietmar Teßmann, das lediglich und eindrucksvoll auf Tafellack und Kreide setzt, sich ansonsten aber ganz auf die Schauspieler (gut: Andreas Krüger als Cold; Charlotte Saphire Alten als Mutter; wenig überzeugend: Kathrin Sauerborn als Susanne) verlässt, zeigt Bitterich gelungenes Zielgruppentheater für Kinder- und Jugendliche. Und junge Menschen, die angesichts unserer auf Kurzfristigkeit angelegten, entsicherten Welt (ab)driften und sich nur mithilfe einer radikalen und maximal brutalen Erzählung neu zu organisieren wissen: zu einem unfassbar hohen Preis wieder Autor ihres Lebens werden. Dabei muss, was zumindest Cold um- und antreibt, die Suche nach Originalität und Authentizität in der „scheiß Karaoke-Welt“, fehlgehen: Amok – in „Good morning, boys and girls“ Allegorie und Nutte, die mit jedem geht.