Förners sicher nicht einzigartiges, aber beispielhaft blutrünstiges Massaker ist jetzt zum Thema einer historischen Recherche geworden, die die Autorin und Regisseurin Amanda Lasker-Berlin erarbeitet und inszeniert hat. Dabei zieht sie Verbindungen zu den Auseinandersetzungen rund um die Impfungen zur Zeit der Corona-Pandemie. Lasker-Berlin erzählt von einer Allgemein- und Hausärztin, die zunächst nur (nur!) im Internet und bald auch leibhaftig von terroristischen Impfgegnern bedroht wird. Ihr werden die Scheiben eingeworfen, sie muss die Praxis aufgeben – und nimmt sich das Leben. Dieses Schicksal sei mit den Hexenverfolgungen des Mittelalters vergleichbar und nur ein weiteres Beispiel für den Kampf der Männermacht gegen die Frau an sich.
Eine steile These
Denn immerhin wurden die Hexen gemordet im Auftrag der höchsten Gewalt der Gesellschaft jener Epoche, der katholischen Kirche. Die politische Macht war noch nicht gleichwertig entwickelt. Die Frauen damals wurden auch nicht –wie die impfende Ärztin heute – psychisch und physisch in Gefahr gebracht von einer Horde durchgeknallter Sonderlinge, Männer wie Frauen. Und theoretisch stand den Verfolgten von heute das Recht zur Seite; wie oft es sich auch nicht durchgesetzt haben mag oder auch nur eingegriffen hätte gegen den verstrahlten Mob. Und selbstverständlich richtete sich der Anti-Impf-Terror auch nicht exklusiv gegen Frauen.
Kurzum – die Vermengung der verschiedenen Opfer-Geschichten ist selbst unter feministischem Aspekt fahrlässig. Zum Glück ist die Erfinderin dieses gemeinschaftlichen Leidens der eigenen Ideologie sowohl als Schriftstellerin wie auch als Theaterfrau voraus. Und darum wird aus dem Gemauschel in Bamberg doch noch eine ziemlich überzeugende Aufführung.
Feines Handwerk
Das liegt vor allem daran, dass Lasker-Berlin sich selbst als Recherchierende in die Szenen hinein schreibt. Im Raum von Jodie Fox – einer bühnenfüllenden Stellage voller blutroter Aktenschachteln mit Räumen dahinter und einer kanzelartigen Empore darüber – kämpft sich Alina Rank sozusagen von Akte zu Akte. Den Wechsel der Opferrollen markiert dazu Martina Dähne. Gerade ist sie noch die erste Frau, die als Hexe ausgerufen wird und gleich darauf wird sie zur impfenden Allgemeinmedizinerin, die erste Hass-Mails erhält im virtuellen Schreckensraum der asozialen Medien. Ihr hilft niemand, wie damals den frühen Hexen niemand half. Das ist vielleicht der zentrale gemeinschaftliche Punkt beider Verfolgungsgeschichten. Dass da nie genug Vernunft, nie genug handfeste Hilfe zur Stelle war.
Gewalttätige Emotionen
Zur szenisch furiosesten Figur wird derweil im Stück Eric Wehlan, der den im Glaubenswahn gefangenen Kirchenmann spielt. Stück und Inszenierung legen übrigens nahe, dass dieser spirituelle Wüterich verführbar gewesen sein muss für beide Geschlechter, und aus emotionalem Frust zum Killer wurde. Es steht sicher zu vermuten, dass auch das eine These der Autorin ist. Allerdings ist die nicht ganz so steil wie die vom zeitübergreifenden Feminizid.
Jeremias Beckford schließlich spielt sich durch verschieden profilierte Rand-Figuren des Stückes – zunächst als Schwiegersohn der ersten als Hexe denunzierten Frau, später als Sohn des Bamberger Bürgermeisters. Gerade 14 Jahre alt und eigentlich nur aus Spaß ein Denunziant, ist er extrem „erfolgreich“. Förner rottet die komplette Bamberger Oberschicht aus nach den Beschuldigungen des jungen „Hans aus der Langen Gasse“, der Bamberger Prachtstraße jener Zeit. Schließlich spielt er mit weißem Kleid eine junge Frau, die trotz politischer wie päpstlicher Intervention eines schlimmen Morgens hingerichtet wird.
Den eigenen Stücktitel übrigens nimmt Lasker-Berlin nicht sonderlich ernst – „Jahre ohne Sommer“ markieren hier Zeiten, in denen die Sonne fast verschwand und das landwirtschaftliche Wachstum schrumpfte – Hexenwerk oder frühes Öko-Mirakel? Dennoch hat das Stück Stärken und Kraft – wenn nur der ideologische Überbau nicht derart in die Irre führen würde.