Foto: Das Ballett der Musikalischen Komödie © Kirsten Nijhof
Text:Klaus Kalchschmid, am 25. März 2017
Es ist nur ein „Zwischenspiel“, das die beiden Akte von „Prinzessin Nofretete“ miteinander verbindet, aber das hat es in sich. Bei der ersten szenischen Produktion nach der Kölner Uraufführung im Jahr 1936 wurde es nun in Leipzig gar zum zwerchfellerschütternden Zentrum. Denn die Figuren von Nico Dostals schmissig-schwungvoller Operette gehen hier auf eine Zeitreise von Ausgrabungen im frühen 20. Jahrhundert zurück ins jahrtausendealte Ägypten. Sowohl musikalisch wie auch im Text, bei dem sich „blauer Nil“ auf „warmes Gefühl“ oder „Nofretete“ auf „Kette“ reimen darf, werden da einige ironisch schillernde Glanzlichter gesetzt, die noch qualitätvoller sind als manch‘ Routiniertes im ersten und zweiten Akt.
In absurder Zuspitzung wird hier als Orakel noch einmal verhandelt, wer wen warum heiraten darf oder nicht. Das geschieht so herrlich überdreht alle Ägypten-Klischees auskostend und auf die Spitze treibend, dass es die reine Lust ist: Zugleich historisch korrekt und doch immer parodistisch überhöht ist jedes Detail, etwa, wenn die Wachen über nackten, mehr oder minder behaarten Beinen ein die Hüften gerade bedeckendes weißes Kleidchen tragen, das nur durch die elegante Bordüre von Krankenhaus-Bekleidung zu unterscheiden ist; darunter leuchten enganliegende goldene Retroshorts bei jeder Bewegung lüstern auf und ein prachtvoller Kopfputz kontrastiert dazu prächtig! Auch die schwarzen (Bürsten-)Perücken der Damen kennt man von entsprechenden Wandmalereien, nicht aber ihren Variantenreichtum. Schmucke halbnackte Tänzer und ebensolche Tänzerinnen, deren Brustwarzen durch neckische Lotusblüten-Bemalungen verborgen werden, verrenken sich auf der kleinen Bühne der Musikalischen Komödie in der farbig antikisierenden Choreographie von Mirko Mahr derart virtuos, dass diese Truppe jeder historisierenden „Aida“ an der Met oder in Verona alle Ehre machen würde.
Keine Geste, die in der prägnanten Inszenierung von Franziska Severin nicht übertrieben ist; kein Gag, der nicht bis zum letzten Tropfen ausgekostet wird – wie der stets nach allen Seiten rutschende Kopfputz Prinz Thototpes, der realiter Totty Tottenham heißt und dank seiner Millionen immer nur „Goldjunge“ genannt wird. Der herrliche Buffo-Tenor Andreas Rainer verkörpert beide Männer als sympathisch tapsiger Hallodri. Er soll Nofretete alias Claudia (die große Operetten-Diva Lilli Wünscher) heiraten, würde sich aber lieber mit seiner College-Liebe Pollie Miller (eine echte Soubrette, aber mit Substanz und viel Spielwitz: Nora Lentner) vermählen, die zuerst eine aufgedrehte Reiseführer ist und dann als Palastdame Teje eifersüchtig durchs alte Ägypten stolpert. Claudia alias Nofretete wiederum hat sich in Dr. Hjalmar Eklind, den zweiten Assistenten Callagans, verliebt (Radoslaw Rydlewski), der hier unter dem Namen Amar als verführerischer Sänger eines Ständchens auftritt, aber, mit einem Dieb verwechselt, von den Wachen verprügelt wird. Der obskure Wahrsager Abu Assam verkehrt sich wortspielwechselnd in den antiken Assambu und wird von Michael Raschle mit prägnantem Bass als zwielichtige Figur verkörpert. Auch der schrullige Chef-Archäologe Lord Callagan (Patrick Rohbeck) und Vater Claudias, spielt als Pharao Rhampsinit eine zentrale Rolle. Und weil Adolf Hitler sich 1933 höchstpersönlich für den Verbleib der Büste Nofretetes in Deutschland eingesetzt hat, verfällt dieser Pharao zwischendurch, den Arm ausstreckend, in ein seltsam rollendes R! Nur schade, dass ein Bühnentier wie Angela Mehling, die als resolute Tante Quendolin eine standesgemäß zwei reiche Häuser verbindene Heirat, also die zwischen Totty Tottenham und Claudia Callagan durchsetzen will, im Ägypten-Intermezzo pausieren musste.
Leider handelt es sich in dieser Operette bei Prinzessin Nofretete auch nicht um die berühmte Gattin – oder Mutter, oder Schwester? – Echnatons, sondern um eine fiktive Ägypterin gleichen Namens, was die diversen einander ausschließenden Heiratspläne erst möglich macht. Trotzdem ließ es sich Bühnenbildner Frank Schmutzler, der auch die Portale mit überlebensgroßen Statuen und den Rang mit penibel ausgemalten Wandmalereien schmückte, nicht nehmen, eine nur leicht variierte Nofretete-Büste an die Rampe zu stellen, wenn im zweiten Akt der Sensationsfund einer solchen in London präsentiert wird.
Weil im ersten Akt Pollie eine große Reisegruppe von Cook und Sohn (Chor und Extra-Chor der Musikalischen Komödie machen ihre Sache großartig!) nach Ägypten führt, empfangen den Besucher der Aufführung vor dem Haus echte Kamele und im Foyer entsprechend gekleidete Dienstboten, um „Reisegepäck“ anzunehmen und als „Mitropa“ Verköstigungen und Getränke zu verkaufen. Bei den Reiseunterlagen von MUKO TOURS INTERNATIONAL (worunter sich natürlich die „Musikalische Komödie“ verbirgt), findet sich neben dem Ticket unter anderem auch ein Gutschein für das schöne, nicht unbedeutende Ägyptische Museum vor Ort. Dessen Leiter Dietrich Raue war beratend für die Produktion tätig und steht gerade in den Schlagzeilen durch seinen Sensationsfund des Kopfes einer Monumentalstatue in Heliopolis, dem heutigen Kairo. Welch‘ ein schöner Zufall und was für eine unvermutete Entsprechung zur Handlung einer fast verschollen geglaubten Operette.
Ein wenig archäologische Arbeit war freilich auch nötig, um nach 70 Jahren ein spielbares Aufführungsmaterial nutzen und neben der Wiederentdeckung auf der Bühne eine Rundfunkaufnahme einspielen zu können. Dafür wurde „Prinzessin Nofretete“ von der Regisseurin und dem Dramaturgen Christian Geltinger eingerichtet und von Stefan Klingele leicht gekürzt. Doch der Dirigent und musikalische Leiter des Hauses war spürbar fasziniert von Dostals leichtfüßiger Musik und ließ sein Orchester ebenso geschmeidig elegant aufspielen wie silbern schimmern. Aber auch manchmal mondän angehauchte Walzerklänge hatten immer wieder ihren Platz.