Foto: Nacho Duatos "Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere" am Staatsballett Berlin. Giuliana Bottino und Michael Banzhaf © Fernando Marcos
Text:Elisa Giesecke, am 16. März 2015
Johann Sebastian Bachs Musik zu vertanzen, mag für Choreographen eine enorme Herausforderung sein, blieb das Werk des Komponisten ? trotz tänzerischer Rhythmen in vielen seiner Stücke ? doch vom Ballett weitgehend unbeeinflusst. Umso erstaunlicher erscheint es daher, wie Nacho Duatos bereits 1999 im Auftrag der Stadt Weimar entstandene abendfüllende Choreographie „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“, die nun mit dem Staatsballett Berlin Premiere feierte, geradezu symbiotisch mit den musikalischen Bildern Bachs verschmilzt. Man vermag nicht zu sagen, wer wen mit mehr Hingabe feiert: die Musik die Tänzer oder die Tänzer die Musik.
Beginnend mit den unbeschwert zarten Klängen der „Aria“ aus den Goldberg-Variationen hat der neue Intendant des Berliner Staatsballetts in seinem zweiten Ballettabend eine scheinbar beliebige Auswahl und ganz unterschiedliche Auszüge Bachscher Kompositionen aneinander gereiht, die jedoch einem klaren dramaturgischen Bogen folgen. Auf Kraft, Inspiration und Lebenslust im ersten Teil, „Vielfältigkeit“, folgen Einsamkeit und Tod in „Formen von Stille und Leere“; Ausschnitte aus der „Kunst der Fuge“ markieren das nahende Ende des Komponisten, der, verkörpert durch den Tänzer Michael Banzhaf, im barocken Outfit durchgehend auf der Bühne erscheint und so die einzelnen Bilder gleich einem roten Faden miteinander verknüpft. Die Idee mag simpel erscheinen, doch erweist sie sich als klug dahingehend, dass sie eine Spannung und Stringenz schafft, welche für die „choreographische Reflexion“, als welche Duato vor allem den ersten Teil bezeichnet, essentiell ist. Andernfalls würde sich die bloße Aneinanderreihung von Tableaus möglicherweise allzu schnell im Belanglosen erschöpfen.
Suchtpotential entwickelt das Ballett aber nicht allein durch die Musik. Wunderbar anzusehen in der Bühnenkonstruktion von Jaffar Chalabi sind die Bewegungskonzepte, in welchen sich die Tänzer selbst in Instrumente verwandeln. Beispielhaft hierfür ist ein Pas de deux zwischen Michael Banzhaf und der großartigen Giuliana Bottino, in dem der Tänzer seine Partnerin wie ein Violoncello mit dem Bogen streicht, während ihr Körper sich völlig seiner „musikalischen“ Führung hingibt, sich aufs Äußerste biegt und dehnt, bis er fast zu brechen droht. Insgesamt scheinen die Tänzer ganz aufzugehen in der Musik, deren barocker Kontext aufgebrochen wird durch zeitlos-moderne, oft komische Bewegungsformen. Und dann ist da noch die herausragende Polina Semionova, die als eine Art Todesengel in einem Hauch aus schwarzem Nichts und weißer Maske (Kostüme: Nacho Duato in Zusammenarbeit mit Ismael Aznar) mit grotesk-marionettenhaften und zugleich anmutig-fragilen Bewegungen dem immer schwächer werdenden Komponisten zu Leibe rückt und ihn ganz allmählich seiner Energie beraubt.
Von seinem Zauber hat Nacho Duatos Ballett nichts verloren. Sicherlich mag man die ein oder andere Idee als oberflächlich-plakativ erachten und wie gerne hätte man Live-Musik gehört. Dennoch entschädigt die phänomenale Leistung des Ensembles für die ein oder andere Schwäche des Abends.