Bereits das Bühnenbild von Jörg Masser ist eine Ansage: Eine Skulptur aus Schießschartenhäusern und Geschützrohren Dazu ragen aus dem Orchestergraben fünf graue Rohre, die zu U-Booten gehören könnten. Man ist in einer Kriegs- und Männerwelt, in die Regisseur Bordel allerdings eine Frauenfigur geschmuggelt hat. In dieser Szenerie also spielt Friedrich Wolfs Stück von 1930, in dem er die Zeit am Ende des Ersten Weltkriegs und den historischen Aufstand der k.u.k.-Seeleute im Golf von Cattaro aufgreift. Beides ist 100 Jahre her, das Doppel-Jubiläum Grund für das Theater, das Drama in den Spielplan zu nehmen – und der ausdrückliche Wunsch des nach sechs Jahren scheidenden Schauspieldirektors Wolfgang Bordel, als seine letzte Inszenierung das Matrosen-Stück zu wählen. Ganz einig war man sich im Theater wohl nicht: Nur vier Aufführungen wurden in Neustrelitz angesetzt, in Neubrandenburg gar keine.
Die Drehbühne schwenkt zunächst Matrosen beim mehr oder minder fröhlichen Skat-Dreschen herein, das von Matrose Toni (Fabian Quast) mit der Sehnsucht nach seinem Söhnchen, das er vier Jahre nicht gesehen hat, unterbrochen wird. Dann taucht auf der Vorbühne zum ersten Mal Ruth, die Schwester von Franz Rasch, auf, die Figur, die Bordel hinzuerfunden hat. Sie soll zeigen, dass der Maat neben dem Krieg auch noch ein Leben hat und kennt. Doch Ruth (Josefin Ristau) ist vor allem dazu da, den Bruder zu agitieren, auch mal singend, beifallheischend ins Publikum.
Als die Matrosen dann über Funk von „Mehlverkürzung“ und Streik in anderen Häfen hören, beginnt die Saat, durch Aufstand Frieden und Heimkehr zu erreichen, aufzugehen. In „Die Matrosen von Cattaro“, das heute noch seltener gespielt wird als Wolfs „Cyancali“ oder „Professor Mamlock“, geht das so: Mit gestelztem Seemannsgarn, Verlesen der Arbeiterzeitung, runtergerasselten Paragraphen und chorisch aufgesagten Merksätzen. Das ergibt eine Mischung aus Agitprop- und Lehrstück. Mitten drin: Der Zauderer Franz Rasch, der den Aufstand anführen soll, sich aber mit Zentralkomitee und Matrosenrat abstimmen will, ehe er etwas unternimmt.
Das ist natürlich immer noch ein Anti-Kriegs-Stück und wer hätte in der heutigen Zeit nicht Syrien, Giftgas und Bomben, die Kriegshetze zwischen den USA und Russland im Kopf? Doch davon ist diese Inszenierung meilenweit entfernt, weil sie einfach die alten Muster bedient. Im altbackenen Sprachduktus der Entstehungszeit sind Arbeiter und Soldaten (das „Bündnis aus Hammer und Gewehr“) gut, aber hilflos, die Oberen, die Offiziere böse, aber effektiv, weil am längeren Hebel, und „nur Tyrannen müssen Kriege führen“. So einfach kann die (Theater-)Welt manchmal sein. Und sie bleibt es leider auch: Deckschrubben („bimsen“) als Strafarbeit, selbst junge Matrosen sind agitatorisch geschult, ein zackig-lächerlicher Leutnant (Thomas Pötzsch), auf dessen zynische Frage „Keine Lust mehr zum Kriegsspielen?“ und dem „Nein!“ der Matrosen kurz mal Stille herrscht. Der Fregattenkapitän (Michael Kleinert) ist eine „Traumschiff“-Figur mit Raute, der von „Lachen“ und „Mensch bleiben“ redet, aber nur, um effektiver Krieg führen zu können.
Mit mutigen Strichen hätten Stück und Inszenierung mehr Kontur und weniger Klassenkampf enthalten können. So aber werden unter roter Fahne nur die letzten 30 Minuten der gut zweieinhalb Stunden intensiv, weil die Matrosen leise, verzweifelt und verbittert diskutieren, was man tun könnte, weil ihnen die Zeit und die bis jetzt solidarischen Kameraden weglaufen. Und sie zwischen „ihr und wir“, „Recht und Unrecht“, „Frieden und Krieg“ zermürbt und zerrissen werden. Marco Bahr als Maat Franz Rasch spielt das zum Glück mit viel mehr Facetten als sie die Inszenierung hat. Und deren Ende leider wieder tief ins Klischee rutscht: Schwester Ruth singt mit tränenreicher Stimme Arbeiter-Kampf-Lieder und reckt die rote Fahne der Sonne entgegen.
Auch das Publikum war uneins: Etwa die Hälfte ging in der Pause, die anderen jubelten fast frenetisch.