Foto: Gero Nievelstein (l.) und Thomas Weber als Insulaner in „Keinland“ © Martin kaufhold
Text:Christian Muggenthaler, am 16. Januar 2022
Ausnahmsweise mal eine Zukunftsvision, die nicht als düstere Dystopie daherkommt, sondern aus dem Hintennach erzählt, wie bescheuert vorher alles war. Und dieses Vorher ist im Stück „Keinland“, das nun am Theater Regensburg uraufgeführt wurde, die Gegenwart: die Gegenwart einer Menschheit, die durchgeknallt Massen von Plastikmüll produziert, als ob’s kein Morgen gäbe. Stabile Hinterlassenschaften für die Museen von morgen. Im Foyer des kleinen Hauses des Theaters haben sie so ein Museum schon mal eingerichtet, mit Flaschen, Tüten, Dönerkram, und dann geht’s hinein ins Stück, das daherkommt als eine Art Märchenland-Diorama, durch das die Zukunft in die Gegenwart blickt.
Insel aus Müll
Das ist die gut funktionierende Setzung der Autorin Magdalena Schrefel: Ein Guide führt in der Zukunft durch eine Szenerie der Vergangenheit, als es die Malediven noch gab. Dort bauen Jesolo und Adrian an einem Müllberg aus dem Abfall der umliegenden Hotel-Inseln, recyceln Brauchbares und verbrennen den Rest, führen eine – auch sprachlich – eher kümmerliche bis absurde Existenz. In die bricht ein Touristen-Pärchen ein, das sich auf die Müllinsel – die gibt es übrigens wirklich: Thilafushi – verirrt hat und da jetzt schleunigst wieder weg muss. Das gelingt den beiden, indem sie die Naivität der Inselbewohner schamlos ausnutzen, damit aber auch die Ressourcen deren Daseins endgültig zerstören.
Komische Unwucht
Egoismus und Nachhaltigkeit funktionieren zusammen eben nicht. Immerhin gönnt Schrefel der Menschheit eine Zukunft, in der das gelernt worden ist. Regisseurin Pia Richter wiederum gönnt dem Text Entfaltung, indem sie die in diesem liegende Unwucht sich breit machen lässt, die auch viel Komik in sich birgt: Die beiden Inselbewohner kennen die Welt nicht anders als aus der Perspektive ihres abgelegenen Eilands – und müssen sie sich nun sprachlich irgendwie hinbiegen. Da wird halt dann aus einem Gummiboot ein „Plastikding“, zugleich potenzielles Gästebett und Objekt einer permanenten Utopie: Man könnte ja damit nach Amerika fahren. Zunehmend wird klar: Diese gesamte Geschichte spielt sich im Irrealis ab, und Pia Richter stattet diesen Irrealis mit Bruchstücken von Realismus aus: ein verkrüppelter Baum, Tropenhintergrund, sogar ein Snack-Automat; nur ist halt kein Geld da.
Es dauert eine Weile, bis das wirklich gut funktioniert, aber dann sind diese realistischen Versatzstücke genau richtig, um diese absurde, in sich zusammenbrechende Welt adäquat zu schildern: Hier stimmt nichts wirklich, geht schlussendlich nichts zusammen, und das ist der Alltag. Vieles ist zudem ein bisschen karikaturhaft in dieser Inszenierung, vor allem das tumbe Touristenpärchen Ute und Frank: Silke Heise und Michael Heuberger blicken herrlich doof aus ihrer herrlich grässlichen Strandwear-Wäsche, verkörpern aber zugleich die größtmögliche Rücksichtslosigkeit der Reisenden gegenüber den von ihnen besuchten Gegenden. Thomas Weber (Jesolo) und Gero Nievelstein (Adrian) wiederum kommen ein bisschen daher wie Steinzeitmenschen, sind aber rührend lieb in ihrer Hilflosigkeit.
Ausstatter Michael Lindner hilft kräftig mit beim Installieren dieser Realismus-Legosteine. Bühne und Kostüme sind ausgesucht zusammengesucht, zusammen ergibt das ein funktionierendes so utopisches wie schiefes Märchenland, inbegriffen Kritik an der Gegenwart und deren müllproduzierender Wirklichkeit. Und zudem ist das ganze Bühnenbild seinerseits ein Recycling-Produkt: Es sollte eigentlich einer Inszenierung dienen, die dann wegen Corona nie stattgefunden hat. Die Menschheit lernt Nachhaltigkeit. Quod erat demonstrandum.