Foto: Ensembleszene © Tobias Metz
Text:Manfred Jahnke, am 12. November 2016
Eine Musikerin wuchtet eine Kiste auf die in zwölf Sektoren aufgeteilte Drehbühne und schüttet einen Haufen Kleider in Rosatönen aus. Weiblein wie Männlein aus dem Ensemble posen anschließend in diesen Kleidern. So beginnt „entweder und“, „ein Kinderstück über das Größerwerden in einer rosablauen Welt“, das Hannah Biedermann mit dem Ensemble am JES Stuttgart entwickelt hat. In 58 Szenen, wie die Musikerin Conni Trieder, die vor allen Dingen mit Bass- und Sopranquerflöte die Spieler begleitet, ankündigt, möchte man das junge Publikum verwirren, was die Normierungen des Geschlechts betrifft. Biedermann inszeniert eine fetzige Revue, die mit den Klischees spielt, was ein Junge, bzw. ein Mädchen darf und nicht darf. Sie entwickelt eine Art performativer Präsentation, die mit blitzartigen, pointiert zugespitzten Szenen unterhält. Manchmal tun es auch einfache theaterpädagogische Übungen, wie von der Musikerin angekündigten Auftritten zu Adjektiven wie „tollpatschig“ usw. Dabei spielt sich das Ensemble mit ihren wirklichen Vornamen an. Neben den kurzen Präsentationen von Eigenschaften und Situationen wird keine eigentliche Geschichte erzählt, aber doch ein roter Faden entwickelt, der sich von den Präsentationen hin über den ersten Schultag bis hin zur Identitätsphilosophie – „Ich ganz anders“ – erstreckt. Am Ende schließt sich der Kreis, es wird das Posing des Anfangs wiederholt, bis dann sich Franziska Schmitz, Sophia Maria Schroth, Alexander Redwitz und Gerd Ritter sich in Alltagskleidung vor dem Publikum verbeugen, während die Musikerin Conni Trieder in ihrem mittlerweile gelben Raupenkostüm bleibt.
Für einen besonderen Effekt sorgen die absurden und farbenprächtigen Kostüme von Mascha Mihoa Bischoff, wie Röcke aus Barbiepuppen oder Umhänge aus Teddybären oder hölzernen Reiferöcken. Sie hat auch die Bühne entworfen, in deren Zentrum wie oben beschrieben die Drehscheibe ist, die mit Muskelkraft in Bewegung gesetzt werden kann. Nach hinten wird die Bühne abgeschlossen durch eine Holzwand mit lauter Ausschnitten wie die Türchen in einem Adventskalender. Vorherrschendes Material ist helles Holz, das auch in Kostümteilen vorkommt. Holzwürfel verwandeln sich blitzschnell in eine Sitzgruppe samt Tisch. Diese schnellen Verwandlungen, die das Bühnenbild von Mascha Mihoa Bischoff erlauben, ermöglichen dem Ensemble ein temporeiches Spiel, das atemberaubend von einer Szene in die andere switscht. Diese Bühne ist auch eine der Voraussetzungen, dass das Ensemble sich mit einem ungeheuren Spaß in das Spiel stürzen kann. Dabei entwickelt jede einzelne Spielerpersönlichkeit in der Präsentation eine Virtuosität, die von der Vertrautheit eines eingespielten Ensembles erzählt. Unterhaltsamer kann man fünfjährigen Kindern nicht die Gender-Problematik erzählen. Aber auch Erwachsene haben ihren Spaß an diesen allzu bekannten Alltagssituationen.