Foto: Szene mit Jörg Thieme, Esther Lee-Freyer, Emilia Nietiedt, Anke Engelsmann, Felix Strobel, Norbert Stöß, Fabian Stromberger, Peter Luppa, Lotta Rosa Hegenscheidt, Celina Rongen und Ursula Höpfner-Tabori © Hans Jörg Michel
Text:Joachim Lange, am 16. September 2016
Vielleicht will ja Claus Peymann seine letzte Spielzeit am Berliner Ensemble als einen Abschlussball inszenieren. Für das Haus, die Stadt und den ganzen Theater-Erdenkreis. Vor allem aber für sich selbst. Wenn schon alles zu Ende geht, dann richtig. Zu seinem nie versteckten Selbstbewusstsein würde das jedenfalls passen.
Und der immer noch quicklebendige einstige Brecht-Schüler Achim Freyer, der den Auftakt übernimmt, nennt seine jüngste Kreation denn auch „Abschlussball“. Der Nachsatz „Ein Lamento in Bildern“ erschließt sich dabei leichter als der Titel selbst. Denn metaphorische Sektkorken knallen hier ebenso wenig, wie Freyer seine poetische Fantasie von der Leine und frei schweben lässt. Dieser Abend ist eher das Musterbeispiel für ein „Alles oder Nichts“ Theater. Man kann darin nämlich – je nach Geschmack und Erwartungshaltung – durchaus eine ganze Welt entfesselt sehen oder sich über ein aufgeblasenes Nichts und banale Wiedererkennbarkeitsfetzen ärgern. Es ist ein Theater von der selbstreflexiven Sorte, das sich als Endlossammlung von Selbstzitaten erklärt. Oder, das sich selbst an den Haaren, sprich der Perücke, aus jener Dämmerung zieht, in der sich Erinnern und Vergessen zum Nichts verdunkeln. Um plötzlich wie ein Clown mit grell geschminktem Gesicht auf die Bühne zu springen, und mit lauter Kinderstimme zu rufen „Das Spiel beginnt!“. Um dann wieder in der Andeutung zu versacken oder eben jenes Traumtheater zu entfesseln, auf das sich Achim Freyer als ein bildender Künstler, Bühnenbildner und Regisseur, der längst als Gesamtkunstwerker auf eigene Rechnung unterwegs ist, auf so unnachahmliche Weise versteht. Dabei ist ganz egal, was er macht. Ob nun große Oper oder etwas selbst Gemixtes. Es ist im besten Fall immer ein Welttheater, in dem man die Welt als Echo von ihren Rändern her rauschen hören kann. Wenn man will. Und es ist eins, in dem Lichter in der Dunkelheit funkeln. Manchmal gedämpft aus Papier überspannten Leuchten. Oder als funkelnde Worte auf einer Tafel, die sich in der schwebenden Riesen-Glasscheibe mit unserem eigenen Bild mischen.
Zugleich ist das aber auch eine Art von handgemachtem, ziemlich versüßtem Theaterkonfekt. Wofür das plüschig verrüschte, immer irgendwie vollgestopft wirkende einstige Brecht-Theater am Schiffbauerdamm eine durchaus passende Luxus-Schachtel abgibt. Nicht nur, weil ihr Noch-Hausherr immer mal feixend zu solchen Naschereien einlädt und die als Biokost verkauft, sondern weil auch der Hausgeist des armen BB dadurch seine Berechtigung zum Spuken behält….
Es gibt also einen Freyer-Raum, in dem keine vierte Wand existiert. Eine Proszeniumsloge ist reserviert für einen Clown, der Faxen macht, sich selbst oder wen auch immer dirigiert oder mit einem Stuhl herumfuchtelt. Auf der anderen Seite stützt ein starker Pappmasché-Arm eine Loge. Der Zuschauerraum und die Bühne als Geisterbahn: Mit einer Wand für leuchtende Worte, die zum Nachdenken anstiften sollen. Oder zum Kopfschütteln führen. Hölle, Macht, Geld, Gier. Die wichtigen Weltworte halt. Manchmal gespiegelt, manchmal ergänzt. Bizarre Figuren ziehen auf der Bühne vorbei. Sagen Sätze, in denen man natürlich nicht Herrn Hinz oder Frau Kunz erkennt, sondern Leute von der tragischen Größe einer Medea, Penthesilea oder eines Ödipus. Personal fürs Kaffeekränzchen ist das nicht. Die Textfetzen stammen von Aischylos und Euripides, von Goethe, Kafka oder Handke, von Kleist und Lasker-Schüler, Heiner Müller und Gertrude Stein, Wagner oder Wittgenstein usw. Wenn schon, denn schon. Der dräuende Musiksound, der das Wortragout bindet, von Lucia Ronchetti. Sechzehn Namen listet der Besatzungszettel, die Akteure tragen Namen wie die Sehnsüchtige, die Wehklagende, der Hoffnungsvolle oder auch der Schutzengel, vor allem aber Kostüme, Masken, Kunstbrüste oder -pimmel aus dem Freyer-Universum. Bei einem Drehbühnenreigen zwischen Licht und Dunkelheit, mit erkennbaren Wortfetzen, ja Miniszenen oder im Ätherrauschen eines methaphorischen Nebels. Wo dann auch mal die Flammen der Hölle züngeln.
Wenn man diese verwirrend faszinierenden, zugleich anstrengend überdehnten, oft nur selbstreflexiven und machmal auch assoziationsoffenen 80 Minuten überstanden hat, das gesamte Personal wie Zombies aus der Theaterhölle an die Rampe tritt und das Licht fahl wird, scheinen sie stumm zu rufen: kommt zu uns. Ihr seid auch schon alle tot. Ihr wisst es nur noch nicht…
Dagegen haben dann doch einige Zuschauer ein lebendiges Buh gesetzt. Die meisten aber respektvollen Beifall für eine Kunstanstrengung, die ihren Sinn nicht ohne Widerstand offenbart.