Foto: Nadja Robiné als Angela © Kerstin Schomburg
Text:Stefan Keim, am 23. Mai 2014
Sie lispelt, trägt Hosenanzug und formt mit den Händen die berühmte Merkel-Raute. Gleich zu Beginn des Stücks ist klar, wer mit „Mutti“ gemeint ist. Eigentlich wollte die Kanzlerin in Rio de Janeiro sein, denn Deutschland steht im Endspiel der Fußball-WM. Stattdessen sitzt sie bei einem Therapeuten und wartet darauf, dass die Spitzen der großen Koalition eintreffen.
Am Montag droht der nächste Börsencrash. Griechenland ist jetzt doch pleite, die Bürgschaften werden fällig. Vizekanzler Sigmar gerät in Panik, er hat keine Ahnung, was Angela vorhat. Deshalb hat er seine Kollegen zu einem Wochenendseminar gezwungen. Sonst will er die Koalition platzen lassen. Außer ihm und Angela kommen Verteidigungsministerin Ulla und Horst, der Bayer.
Eine Therapiesitzung für die politischen Führungskräfte, während das WM-Finale läuft und sich vor dem Stadion protestierende Menschenmassen versammeln. Das ist die viel versprechende Grundidee des Theaterstücks „Mutti“ von Charlotte Roos und Juli Zeh. Wer allerdings Politikerbashing im Stil der „Heute-Show“ erwartet, wird enttäuscht. Es geht also um Ideologiekritik mit dem Mittel der Sprachanalyse. In die Nähe eines Theaterskandals kommt dieses Stück nicht ansatzweise. Ungewöhnlich wirkt allerdings, dass die Handlung in der sehr nahen Zukunft spielt, was sonst eine Domäne des Kabaretts ist.
Sigmar ist eine Rampensau. Im Ernstfall kann er sogar Breakdance. Wenn er keine pathetischen Reden schwingt, packt ihn manchmal das sozialdemokratische Gemüt, und er muss weinen. Ganz anders agiert Ulla, ständig steht sie unter Strom, hat die Augen weit aufgerissen, ist immer zu allem bereit und will natürlich gern selbst Kanzlerin werden. Am sympathischsten erscheint der tapsige, geistig etwas eingeschränkte Horst, der völlig überfordert ist, als der Therapeut eine Familienaufstellung macht.
Die Therapiesitzung wird gestört. Alle zücken ihre Handys, im Finale fallen Tore, vor dem Stadium wird die Stimmung bei den Demonstranten immer aggressiver. Und in Katar, dem Austragungsort der nächsten WM, wird ein Arbeiteraufstand blutig niedergeschlagen. Die Politiker werden immer hysterischer. Nur eine bleibt eiskalt, lässt die anderen streiten, heulen und kämpfen. Im letzten Moment fällt sie ihre Entscheidung, sie ganz allein. Die wunderbare Nadja Robiné spielt die Kanzlerin mit großer innerer Kraft hinter der harmlosen Fassade. Ein Blick von ihr genügt, damit die anderen stramm stehen. Die Bürger, sagt Angela, wollen keine Aufklärung. Sie wollen in Ruhe gelassen werden. Und jemanden haben, der für sie handelt. Eine Pragmatikerin, die nicht über Grundsätze schwafelt. Das ist das System Mutti. Regisseur Hasko Weber, Intendant des koproduzierenden Nationaltheaters Weimar, arbeitet diesen Gedanken klar heraus. Es ist ein kluger Theaterabend mit einigen witzigen Ideen, doch dramatisches Potenzial entwickelt das Stück kaum. Es stehen keine Menschen auf der Bühne, sondern politische Archetypen, nahe an der Karikatur. Und es verwundert nicht, dass nur eine die Siegerin sein kann. Alles Looser außer Mutti.