Fledermäuse als Einheitsblockade? Szene aus „Rübermachen: Das Stück”

Alles Gute zur Wende!

Dagrun Hintze: Rübermachen: Das Stück

Theater:Lichthof Theater, Premiere:13.11.2020 (UA)Regie:Meera Theunert

Die Fledermäuse sind schuld, genauer gesagt die gefährdeten Zwerg- und Wasserfledermäuse, die ausgerechnet im Sockel des geplanten Einheitsdenkmals leben – und damit den Bau der sogenannten Einheitswippe vor dem Berliner Humboldt Forum jahrelang verzögert haben. Die Einweihung zum Jahrestag des Mauerfalls 2019 konnte also nicht stattfinden. „Wir brauchen Platz! Wir wohnen hier, auf diesem Sockel!“, rufen sie chorisch, in schwarzen Fledermausumhängen, und bilden damit den Auftakt für einen symbolischen Streit um die richtige Form unserer Erinnerungskultur. Wie und warum wollen wir dieser Einheit nach 30 Jahren überhaupt gedenken?

Das Kooperationsprojekt „Rübermachen“ startete im Herbst 2019 am WUK Theater in Halle und am LICHTHOF Theater in Hamburg; jeweils neun Teilnehmer*innen aus beiden Städten verbrachten zwei Wochenenden zusammen, lernten sich kennen, entwickelten in der Regie von Meera Theunert „RÜBERMACHEN: Das Stück“, das nun coronabedingt im Stream des #lichthof_lab zu sehen war.

Blühende Landschaften sind es nicht, sondern weiße Plastestühle auf hellgrünem Kunstrasen, auf denen die Teilnehmer – abstandskonform verteilt – sitzen, während hinter ihnen, auf zwei großen Videoleinwänden, Filmszenen und Interviews die Bühnen-Dialoge mit Authentizität anreichern. Zum Beispiel Peter (65) aus Halle, ein Pastor und ökologischer Aktivist, der dabei war, als Friedrich Schorlemmer in Wittenberg 1983 ein Schwert zu einer Pflugschar umschmieden ließ. Die Stasi filmte, wie Peter höchstpersönlich das Schwert übergab. Und wie lief er eigentlich ab, der 9. Oktober in Leipzig? Hatten nicht diejenigen die höchste Macht, die Waffen bei sich trugen, sie aber nicht benutzten?

Zum 9.11.2020 dann macht sich eine Postkarte von Hamburg auf den Weg gen Halle: Mit „Alles Gute zur Wende“ beschriftet, steigt die mannshohe Pappkarte im Video in einen ICE, verfolgt von drängelnden, schwarzmaskierten Fledermäusen. Da ist sie wieder, die Blockade und ewige Frage nach einer Form des Gedenkens, die die Teilnehmer selbst immer wieder umschiffen, ironisch aufnehmen, auch sprachkritisch offenlassen. Der Begriff „Wende“ ginge ja gar nicht, missachtet er doch die semantische Prägung von Egon Krenz und den Aspekt der Friedensrevolution. Aber was feiern wir stattdessen? Eine Kapitulation? Eine Widervereinigung? Den Beitritt zum Grundgesetz?

Man hört im Stück von gebrochenen DDR-Biographien, nicht anerkannten Berufsabschlüssen und den Sünden der Treuhand. Angenehm klischeefrei gelingen diese Einblicke, weil sie im Dialog entwickelt werden durch die nachfragende Perspektive der Hamburger*innen. Und weil eine gewisse Selbstironie mitschwingt, wenn in der Hamburger Hafencity die Fledermäuse eine finale Strandparty feiern – und dabei immer noch ums richtige Denkmal streiten. Dass es die Deutschen nach 30 Jahren (!) nicht geschafft haben, ein solches Monument fertigzustellen, darüber kann man sich wahrlich empören. Man kann es aber auch als Symptom sehen für einen Prozess, der eben längst nicht abgeschlossen ist.