Das überzeugende musikalische Arrangement und alle Stimmen dieser komplexen Musik stammen von dem Sänger, Tontechniker, Stimmbildner und Hochschuldozenten Gunnar Brandt-Sigurdsson aus Oldenburg. Am Ende der zwanzig Teilwerke aus „Die Kunst der Fuge“ lässt er einen Chor in den höchsten Lagen tönen, von denen er alle 25 Stimmen selbst einzeln gesungen hat. Zusammen mit den Klavieraufnahmen des in Bremen lebenden Komponisten Christoph Ogiermann hat er sie in 35 Tonspuren übereinander gemischt.
Die Orgelaufnahmen entstanden mit dem Kantor und Organisten Tobias Götting der Oldenburger Lamberti-Kirche. Die Streicher-Aufnahmen mit dem Oldenburger Streicherquartett „Ventapane“ wurden in der St. Stephanus-Kirche aufgenommen. Und all diese Variationen lassen die Barockmusik oft spielerisch wie Jazz klingen.
Auch die BallettCompagnie Oldenburg darf spielen. Tänzerisch gesehen bieten die Fugenvarianten unerschöpfliche Möglichkeiten wie auch die vielfältigen Persönlichkeiten und Körperkonstitutionen des Tanzensembles. Antoine Jully hat sich in seiner Choreografie an den strengen Rahmen der durchkomponierten Bach’schen Struktur gehalten. Und wenn er seinen Tänzern und Tänzerinnen darin auch Freiheiten eingeräumt hat, so wird sich doch überwiegend an den musikalischen Rahmen gehalten sowie an das übliche Bewegungsrepertoire des klassischen Bühnentanzes.
Genau darin liegt die Schwäche der Choreografie. So zeigt die Compagnie zwar ihr technisches Können auf hohem Niveau, doch wirkt das meist nicht wirklich frei. Kleine Ausbrüche wie ein bewegungsverzerrtes Solo überraschen und auch der Stimmeinsatz des Ensembles in einer Gruppenchoreografie. Der laute Ausruf der Tänzerin Teele Ude „Ich brauche keinen Tütü!“, während sie alle möglichen Ballettpositionen präzise auf die Bühne bringt, ist absurd-komisch, wie auch weitere humoristische Einlagen. Leider wirken einige davon zuweilen deshalb albern, weil vieles in der perfekten Einstudierung steif wird. Mit dem Fokus auf einer „glatten“ Ästhetik fliegen Freiheit und Authentizität der Darbietungen davon.
Dagegen zeigt sich besonders mit Nicol Omezzolli und Lester René González Álvarez, wie aufregend es sein kann, wenn der schnelle Fluss der Töne kontrastiert und parallel etwas ganz Eigenes kreiert wird. In einem Duett mit verlangsamtem Bewegungsfluss aus kreisförmig angelegten in- und auseinander fließenden Verschränkungen bieten sie eine der spannendsten Momente des Abends.
Zu viel Form, zu wenig Inhalt – so mag man den Abend zusammenfassen. Bei der variationsreichen, unendlich erscheinenden Bach-Komposition muss die knapp anderthalbstündige Choreografie so lange fortgeführt werden, bis die letzte Fuge ausklingt. Was will uns das sagen? Die Frage bleibt, wenn man nicht nur Freude an Ästhetik, sondern auch an Berührbarkeit und Inhalt hat.
Das Verb „fugere“ meint ja davonlaufen, ausbrechen. Möge Antoine Jully diese „Oldenburger Fuge“ Aufbruch sein für mehr Mut zu Neuem, zu Berührendem – frei von vorgegebenen Perfektionskorsetten.