Anno Schreier ist kein zorniger junger Mann der Neuen Musik, sondern ein eher bedächtiger Tonsetzer, der die alten Meister nicht verachtet. Er hat sie aufmerksam studiert und wendet ihre Errungenschaften wohldosiert an. Wenn textbezogene Illustration als erstrebenswertes Ideal für eine Opernkomposition angesehen wird, hat er seinen Auftrag gut gelöst – mit der Entfaltung und Schürzung beredter Orchestergesten, mit Hilfe Figuren freier Atonalität, Turba-Chor, nostalgischer Melodie. Streckenweise in a-moll, A- oder E-Dur.
Ein Team starker Stimmen hilft dem Züricher Blinden-Projekt auf die Beine – Reinhard Mayr (Augenarzt), Peter Sonn (Autodieb) und Thomas Tatzel (Taxler), Rebeca Olvera als „junge Frau mit der Brille“, die beim Liebesakt im Hotel mit der Blindheit geschlagen wurde. Zsolt Hamar dirigiert mit Gespür für die illustrierenden Effekte. Er macht damit zum Teil wett, was die Inszenierung im hermetisch grauen Geviert hinsichtlich Bedrohung und Schrecken kaum leistet. Wenn statt Stephan Mueller, einer altgedienten Kraft des Züricher Stadttheaters, ein Altersgenosse des Komponisten inszeniert hätte, wäre Saramagos Anliegen womöglich deutlicher geworden: Die Schweizerische Volkspartei und die mit ihr verknüpfte Boulevard-Zeitung „Blick“ wollen ggf. ziemlich genau das, wovor der portugiesisch-spanische Nobelpreisträger als größer innerer Gefahr für europäische Zivilisation und Gesittung warnte.