Foto: Ensembleszene aus Ermanno Wolf-Ferraris "Der Schmuck der Madonna" © Maurice Korbel
Text:Georg Rudiger, am 6. März 2016
„Eine unerquickliche Mischung aus Blut, Sperma und Weihrauch“ hat Ulrich Schreiber Ermanno Wolf-Ferraris „Der Schmuck der Madonna“ aus dem Jahr 1911 in seinem „Opernführer für Fortgeschrittene“ genannt. Nach einem großen Erfolg im Entstehungsjahr verschwand die dreiaktige veristische Oper weitgehend von den Bühnen. Besonders in Italien stieß der Stoff auch auf den Widerstand der katholischen Kirche, so dass der deutsch-italienische Komponist noch eine zweite, entschärfte Fassung ohne Vergewaltigung und Selbstmord herausbrachte. Aber auch mit dieser Light-Version kam der Erfolg nicht mehr zurück. Nun hat das Theater Freiburg den opulenten Opernschocker wieder ausgegraben und in einer so ästhetischen wie packenden Inszenierung von Kirsten Harms auf die Bühne gebracht.
Die frühere Intendantin der Deutschen Oper Berlin hat schon vor einem Jahr mit Karl Goldmarks „Die Königin von Saba“ am gleichen Haus unter der musikalischen Leitung des Generalmusikdirektors Fabrice Bollon einen verschütteten Schatz gehoben. Im April erscheint eine CD-Produktion davon beim Label cpo. Auch von Wolf-Ferraris Oper wird eine Studioaufnahme gemacht. Den Livemitschnitt der Premiere hätte man dafür nicht nehmen können, weil das Philharmonische Orchester Freiburg unter Fabrice Bollon einen ganzen Akt braucht, bis die Balance stimmt und auch die Koordination zwischen Bühne und Orchestergraben optimiert ist. Bei der Massenszene zu Beginn, wo das Fest zur Ehren der Madonna del Carmine in Neapel gefeiert wird, agieren die Chöre (Opern- und Extrachor sowie Kinder und Jugendchor des Freiburger Theaters, Studierende der Musikhochschule Freiburg. Leitung: Bernhard Moncado und Thomas Schmieger), Solisten und das Orchester zu wenig aufeinander abgestimmt. Auch die vielen Tempowechsel hat Bollon nicht immer im Griff. Den Unisoni von Streichern und Holzbläsern fehlt die Genauigkeit und Raffinesse. Erst mit dem betörenden Intermezzo zum zweiten Akt steigt auch musikalisch die Intensität und Qualität.
Szenisch ist der von der Excellence-Initiative des Theaters unterstützte Opernabend von Beginn an auf hohem Niveau. Überdimensionale Rosenkränze und abgetrennte Gliedmaßen hängen bei diesem neapolitanischen Marienfest vom Schnürboden. Erstkommunikantinnen treffen auf Camorra-Banditen in Unterhose, ein jonglierender Pazzariello (Fabian Flender) auf hübsch frisierte Schäferinnen. Der Alltag ist religiös aufgeladen. Und wenn die 3,5 Meter hohe, schmuckbehängte Madonna von der Unterbühne hochgefahren wird, dann findet das große musikalisches Pathos auch seine szenische Entsprechung (Bühne und Kostüme: Bernd Damovsky). Vor diesem bunten Hintergrund richtet sich der Fokus auf eine Dreiecksgeschichte, die ungebremst auf die Katastrophe zuläuft. Gennaro (Hector Lopez-Mendoza) liebt seine Stiefschwester Maliella (Elena Stikhina), die sich allerdings dem Camorra-Boss Rafaele (Kartal Karagedik) hingezogen fühlt und aus den engen katholischen Verhältnissen der Familie (Anja Jung als stimmgewaltige Mutter Carmela) entfliehen möchte.
Im zweiten Akt ist die vermeintlich heile Welt zerstört. Die Holzschafe liegen auf dem Kopf, ein Bett steht einsam im leeren Raum. Dieses wird zum Gefängnis, wenn Gennaro Maliella an das Gestänge fesselt und ein Netz darüber ausbreitet. Ein starkes, ergreifendes Bild für Maliellas Schicksal, gegen das Elena Stikhina mit ihrem ausdrucksstarken, in den Dynamikspitzen metallisch werdenden Sopran ansingt. Dass sie zuvor mit ihrer Mutter ausgerechnet Hochzeitskleider auf Bügel hängt, verschärft die Tragik. Und wenn ihr Gennaro am Aktende den geraubten Schmuck der Madonna um den Hals legt, um sie anschließend zur schwebenden Musik von Wolf-Ferrari zu vergewaltigen, entstehen intensive, schmerzende Theatermomente. Die suggestive Lichtregie von Dorothee Hoff unterstützt die atmosphärische Dichte. Das Philharmonische Orchester Freiburg zaubert sphärische Streicherfarben genauso wie es dramatisch zuspitzt. Überhaupt entwirft das Orchester eine großes Panorama zwischen einfacher Folklore, veristischer Radikalität und dem wie aus einer anderen Welt stammenden, sphärischen Streicherklang. Dass das Werk zu unbedarft zwischen den Stilen hin-und herspringt und musikalisch nicht immer die Sogwirkung einer Puccinioper entfaltet, fällt bei dieser glanzvollen Produktion nicht so stark ins Gewicht.
Im dritten Akt werden die Extreme noch größer. Die lange Tafel, an der Rafaele mit seinen zwölf kreuzbehängten Kumpanen seine Pasta verspeist, erinnert an das letzte Abendmahl. Dass er hier die aufreizenden Tänze der Animierdamen genießt, zeigt die Doppelmoral dieser Gesellschaft. Da ist es nur folgerichtig, dass er die geschändete Maliella von sich stößt, da sie durch den Verlust der Jungfräulichkeit für ihn wertlos geworden ist. Während Kartal Karagedik mit seinem virilen Bariton und seiner Präsenz diesem Obermacho klare Konturen verleiht, hat Hector Lopez-Mendoza am Ende etwas zu kämpfen mit der eher tief liegenden, dramatischen Tenorpartie. Den stärksten Eindruck im Solistenensemble hinterlässt Elena Stikhina, die das Drama der Maliella mit jeder Faser verkörpert. Am Ende nach den Selbsttötungen von Maliella und Gennaro schwebt die Madonna nochmals vom Himmel. Und alle Farben werden grau.