Foto: „Der goldene Hahn” am Theater Magdeburg © Nilz Böhme
Text:Andreas Falentin, am 11. September 2022
Nikolai Rimski-Korsakows letzte Oper ist zweifellos ein ungewöhnliche Wahl für den Beginn einer neuen Intendanz: Es ist hierzulande unbekannt und erschließt sich zudem nicht leicht. In der Handlung um einen heruntergekommenen Zaren, der sich an die Macht gewöhnt hat, aber vergessen hat, wie man mit ihr umgeht und die starke Frau, die als eine Art Katalysator durch das Geschehen wirbelt, wuchern Märchenmotive und gleichnishafte Metaphern. So ist die offenkundig angelegte satirische Stoßrichtung schwer herauszuarbeiten. Daher ertrinken Aufführungen des „Goldenen Hahn“ oft in poetischen und surrealistischen Bildern auf der einen, Russland- und Orient-Kitsch auf der anderen Seite. Dazu kommt eine Partitur, die davon zu träumen scheint, sich Traditionen unterzuordnen und gleichzeitig auf höchst eigenwillige Weise in die musikalische Moderne aufbricht
Musikalisch überwältigend
Der Magdeburger Opern-Einstand von Neu-Intendant Julien Chavaz aber ist geglückt. Das Publikum im nicht ganz ausverkauften Opernhaus applaudiert lange und enthusiastisch. Fundament für diesen Erfolg ist die wirklich überwältigende musikalische Interpretation. Was Anna Skryleva mit der Magdeburgischen Philharmonie zaubert, ist schlicht atemberaubend. Nicht nur gestaltet sie den berühmten großen Bogen wie aus dem Handgelenk, sie staffelt den auch höchst attraktiv, so dass sich Transparenz und Dynamik gegenseitig befruchten. Skryleva entbindet ein Meer von Klangfarben, wobei es ihr naturgemäß hilft, dass sich bei keinem der vielen exponierten Soli auch nur eine kleine Unsicherheit ereignet. So hört man zusätzlich einen verschwenderischen Reichtum an Melodien, von denen einige oft nur wenige Takte dominieren. Dann werden sie von rhythmisch dominierten Klangfiguren aufgesogen und abgelöst und vice versa.
Dazu kommen ein spielfreudiger und musikalisch präziser Chor und ein sehr gutes Ensemble. Besonders an den drei Hauptrollen – sämtlich mit Gästen besetzt – begeistert Mischung aus großem stimmlichem Potenzial, ebensolcher Musikalität und Bühnenpräsenz. Vazgen Gazaryan als Zar Dodon: stimmlich ein dunkel tönendes Urviech, der seine Figur durchaus der Lächerlichkeit Preis gibt, ihr aber jenen letzten Rest Würde und Menschlichkeit schenkt, ohne den wir nicht gerne zusehen würden; Katerina Tretyakova als Zarin von Schemacha bewältigt des für sie mörderischen zweiten Akt scheinbar mühelos, wird nie schrill und erspielt sich auch jene Verführungskraft, ohne die die Figur Abziehbild ist; schließlich Adrian Dwyer als Astrologe, der die fast schmerzhaft hohe Tenorpartie ohne jedes Knirschen abliefert, der Figur das in der Komposition angelegte Geheimnis bewahrt und mit fast tänzerischer Beweglichkeit agiert.
Szenisch opulent
Die Inszenierung von Anna Bernreitner scheint zu Beginn in der Ausstattung von Hannah Rosa Oellinger und Manfred Rainer geradezu zu ertrinken. Dodons Hof besteht aus edlem Schwarz-Weiss-Grau mit vielen mobilen Elementen, die rein-, raus- und herumgerollt werden. Die Kostüme sind ein grotesker Mix aus Gothic Trash und „Die Ritter der Kokosnuss“ und alle tragen lange Bärte, der Astrologe hat sich seinen sogar um den ganzen Körper gewickelt. Zunächst kommt der titelgebende Hahn auf die Bühne – bei Rimski eigentlich eine Idee des Astrologen, um den Zaren auszunehmen – und wird per Stroboskop-Licht konditioniert. Dann beginnt das Spiel recht klamaukig, mit allerdings sehr sicher platzierten Pointen. Im zweiten Akt entpuppt sich die Königin Schemacha als Alien mit einer grotesken Frauencrew, die teilweise von einer Art Bewegungschor, teilweise von Choristinnen des Hauses dargestellt werden, die einen Riesenspaß daran haben. Diese Setzung, die Zarin als Außerirdische, soll natürlich jene Orient-Exotismen vermeiden, die so oft mit dem Auftritt der Zarin von Schemacha einhergehen. Auch hier erzählt Bernreitner wieder klar und pointiert, mit starker Personenführung, auch hier sind der optischen Reize viel und, das sollte nicht sein, schließen momentweise die Ohren.
Auf der anderen Seite ist eindeutig zu konstatieren, dass Bernreitner den Kern des Stückes deutlich bloßlegt: Die Konfrontation des mächtigen Mannes mit der Frau mit dem Willen zur Macht. Wobei er sich nicht vorstellen kann, dass eine Frau jemals Macht ausüben will oder kann – ein Thema, das ja leider nicht altgeworden ist. Dass Bernreitner den goldenen Hahn letztlich nicht dem Astrologen sondern der Zarin zuordnet, schärft dieses Bild. Ob es sich nicht auch vermittelt hätte ohne das Ufo-Brimborium inklusive der leuchtenden, stilisierten Brustwarzen der Zarin und den teilweise durchaus fantasievollen Hintergrund-Projektionen des Weltalls? Und am Ende wäre mehr Haltung schön gewesen. Der Zar Dodon ist tot, die Zarin von Schemacha verschwindet wieder, die Frauenstimmen im Hofschranzenchor nehmen die künstlichen Bärte ab und freuen sich. Aber woran? Wird dieses Volk aufbrechen wollen und können? Wohin? Diese Fragen beantwortet Anna Bernreitner nicht.
Aber immerhin stellt sie sie. Und erzählt klar, bewusst und pointiert. Es wird hinreißend gesungen und musiziert. Und alle scheinen ihren Spaß gehabt zu haben, auf und vor der Bühne. Und das ist heute doch schon sehr viel.