Paul Schweinester (Wenzel Strapinski) liegt vor einer missgünstig dreinblickenden Menge auf dem Boden.

Kostümträume und existenzielle Poesie

Alexander Zemlinsky: Kleider machen Leute

Theater:Staatstheater Cottbus, Premiere:25.01.2025Regie:Stephan MärkiMusikalische Leitung:GMD Alexander MerzynKomponist(in):Alexander Zemlinsky

Am Staatstheater Cottbus bringt Intendant Stephan Märki die „Mannheimer Fassung“ von Alexander Zemlinskys Oper „Kleider machen Leute“ auf die Bühne. Ein bunter und gut gefüllter Abend, der mit überzeugenden Darstellenden und ausgefeilten Kostümen überzeugen kann.

Die „Mannheimer Fassung“ von Alexander Zemlinskys musikalischer Komödie – entstanden zwischen der Uraufführung 1911 an der Wiener Volksoper und der umgreifenden Bearbeitung für das Neue Theater Prag 1922 – hat ihre unbestreitbaren Meriten. Sie ist näher an der Wiener Erstfassung und gelangte nie am Bestimmungsort zur Aufführung. Denn vier Tage vor dem geplanten Premierentermin begann der Erste Weltkrieg. Der Spezialist Antony Beaumont konnte von 154 durchgestrichenen Seiten die für Mannheim geplanten Änderungen rekonstruieren.

In der Cottbusser Produktion, der letzten Inszenierung von Stephan Märki während seiner Intendanz, entdeckt man die Vorzüge dieser Fassung. GMD Alexander Merzyn setzte mit dem Philharmonischen Orchester einerseits die aufrauschenden Farbspiele, andererseits das Paradox einer üppigen Transparenz hervorragend um. Zu Richard Strauss tritt Zemlinsky durch eine derart hochklassige Gestaltung in ernstzunehmende Konkurrenz.

Geballte Ensemble-Leistung

Stephan Märki stilisierte mit nüchterner Nonchalance und der choreografischen Präzisierung durch Chris Comtesse die in der Schweiz angesiedelten Krähwinkeleien Kellers, Geplänkel über Kuchenrezepte auf der Frauen- und Kartenspiel auf der Herrenseite. Opern-, Extra-, Kinder- und Jugendchor (Einstudierung: Christian Möbius und Norienne Olberg) hatten in den wenigen Auftritten umso geballtere Übergriffe mit pantomimisch modellierter Wucht. Aber eigentlich interessierten die Possen- und Schwankmomente aus Kellers Erzählung Märki weniger als die poetische Dimension der Partitur und das von Leo Feld bei Wenzel und Nettchen eingeflochtene utopische Moment. Ein pittoresker Teufel (Co-Ballettdirektor Stefan Kulhawec) blitzt stellenweise im Hintergrund auf und erweist sich dann als Prologus zur langen Pantomine, mit der Nettchens bieder-bürokratischer Bewerber Melchior Böhni (Todd Boyce) den von den Goldacher Menschen für einen Grafen gehaltenen Schneider Wenzel Strapinski düpiert.

Das Geschehen spielt meist im Dunkeln, manchmal vor einem Wolkenmeer. Es schwebt auch über den Wolken, beginnt und endet in der Einöde bei einem Gedenk-Obelisk. Die Idee von Silvia Merlo und Ulf Stengl war, alles mit animierten Skizzen zu bebildern und lebendig zu halten, wovon die adretten Schneidergesellen (Hardy Brachmann, Ye June Park), der Protagonist Wenzel in Gesellenkluft, vor allem aber die kreuzbrav und gelangweilte Bürgerschaft von Goldach träumen. Ein strenges, keineswegs starres Posieren der Kollektive kontrastiert zu diesem gezeichneten Tanz von Landschaften, der rollenden Räder und anstelle einer Personen-Pantomime zum moralischen Düpierungsspiel in Zeichnungen geschneiderten Kluften, Uniformen, Talaren, Habits und Prunkornaten, die als Kleider Leute machen.

Ein kleines Kostümwunder

Die Cottbusser Aufführung ist – dem Stücktitel angemessen – auch ein kleines Kostümwunder. Elina Schnizler machte aus den Chordamen und Episodenfiguren (Katharina Kopetzky, Zena Corina Caliţa) modische Ikonen à la Audrey Hepburn und einen Couture-Traum der 1960er Jahre. Märki katapultierte bürgerliche Enge mit Sensibilität in eine Milchstraße der Träume und Entgrenzungen. Im Musiktheater-Ensemble hat er dafür wache, pointensichere und formbewusste Aktricen bzw. Akteure. Wenn es bei Nettchen und Wenzel unter höflichen Dialogen um reißende Gefühle geht, wird es auf der Bühne glühend rot. Diese lyrische Exaltiertheit erklärt nicht, sondern schafft Freiräume für Assoziationen und manchmal sogar Glücksgefühle.

Wie im Operettengenre gibt es in der Mannheimer Fassung mit Polykarpus Federspiel und Lieselein (Alexey Sayapin und Rahel Brede) ein Episodenpaar mit unkomplizierteren, da nur wirtschaftlichen Heiratsschwierigkeiten neben den existenziellen Konflikten Nettchens und Wenzels. Amtsrat (Heiko Walter), Notar (Ulrich Schneider) und Wirt (Nils Stäfe) kommen eher aus dem gehobenen Salonstück als der ordinären Posse. Und die mittelständischen Gattinnen hatten allesamt einen vor 80 Jahren extrem hippen Kurs im Dame-Sein.

Gesangliche Glanzleistung

Mit einem Gast und einem Ensemblemitglied stehen zwei herausragende Sängerdarsteller an der Spitze dieser Besetzung. Dem Österreicher Paul Schweinester – mit Operetten erfahren und glücklicher Meister über einen eloquenten lyrischen Tenor mit Charaktermöglichkeiten – nimmt man den vermeintlichen Grafen eher ab als den Schneider in zugegebenermaßen sehr nobler Gesellenmontur. Tastend und dabei mit charismatischer Stimme begibt sich Schweinester in die Wenzel von den Goldachern zugewiesene, aber von diesem nicht selbst behauptete Adelsfunktion. Schweinester könnte ohne weiteres in Zemlinskys melodischen Gewässern ein Cremebad nehmen. Aber er und auch die hier vom leichten ins große lyrische Fach wechselnde Anne Martha Schuitemaker trumpfen nicht auf, bleiben vom Anfang bis Ende in den wunderschönen Liedern und Duetten auf reflektierte Art porös. Dafür lohnt sich die Reise unbedingt.