Foto: Gina Laskowski versucht, die Boxen abzuschaffen. © Olli Schirmer
Text:Andreas Berger, am 23. März 2025
Zwei Tänzerinnen mit Behinderung zeigen in Alessandro Schiattarellas Stück am Staatstheater Braunschweig ihre „Supernormal Superpower“.
Schachteln sind was für Puppen. Menschen können sich in Freiheit viel besser entfalten und zeigen, was in ihnen steckt. Gina Laskowski und Ellen Walther beweisen das in Alessandro Schiattarellas Tanzstück für ein Publikum ab sechs Jahren auf mehrfache Weise. Auf der Stückebene hat Julia Burkhardt einige knallfarbige Boxen auf die Bühne gestellt, alles gut verstaut. Dann kommt Gina und präsentiert in der einen Box ihre Puppe Ellen, die auf Knopfdruck „Bilder und Worte in Tanz umsetzen kann.“ Und das kann Ellen: Sie verlässt die Box und geht zunächst wie eine Puppe am Stock, kann aber auch Spagat und nachher noch die erstaunlichsten Bewegungen mit ihrem rasenden Rollstuhl ausführen. Auf den ist Ellen Walther seit einem Snowboardunfall angewiesen, wenn sie mehr als ein paar Schritte machen soll.
Auch als Mensch Ellen verlässt die Tänzerin damit eine Schachtel, in die Menschen mit Behinderung schnell gesteckt werden. Klar kann sie tanzen. Und sowieso hat sie das gewinnendste Lächeln, das man sich vorstellen kann, eine angenehm modulierende Stimme und „lässige Vibes“, wie Gina sie beschreibt. Sie hat sich nicht abbringen lassen, von ihrem schon vor dem Unfall gefassten Wunsch, Schauspielerin und Performerin zu werden. Und wenn das System Theater so innovativ und durchlässig ist, wie es oft selbst fordert, dann müsste sie eine wunderbare Karriere vor sich haben. Schön, dass das Junge Staatstheater ihr diese Chance gibt. Schauspielschulen waren nicht auf Menschen wie sie eingestellt, wie Ellen vorab erzählt.
Über vermeintliche Grenzen hinweg
Alessandro Schiattarella hat schon verschiedene Stücke für Tänzerinnen mit Behinderung gemacht und in ihnen eine Gesellschaft thematisiert, die gern normiert und individuelle Abweichungen ausgrenzt. Nicht nur Behinderungen. Es ist eben noch längst nicht alles „supernormal“, egal wie viel „Superpower“ diese Menschen zeigen. Im Stück aber kommt die „Supernormal Superpower“, so der Titel, stark rüber. Denn auch Gina Laskowski ist von ansteckender Unternehmungslust, „ich bin stolz auf meine Behinderung“, sagt sie im Vorgespräch selbstbewusst. Eine Gelenksteifheit macht ihr Bewegungen schwer, aber bei einem Wanderzirkus lernte sie die Trapezkunst, die sie schwerelos macht. Auch bei ihr waren die offiziellen Ausbildungswege versperrt. Aber beide sind rausgekommen aus ihrer Box.
Im Stück haben sie nun die Rollen getauscht, Ellen testet die Puppe Gina. Schon bald sind sie auf gemeinsamem Abenteuer, die Boxen werden zerlegt, dienen als Vehikel, um die feurige Lava des plötzlich blutroten Bühnenbodens ohne Berührung zu überwinden. Kinder lieben solche Spiele, da holt Schiattarella sie gut ab. Und Gina kommt nun einfach mit auf den Rollstuhl, macht Kopfstand zwischen Ellens Beinen, legt sich quer über sie, oder beide lehnen sich im Gleichgewicht zu verschiedenen Seiten über den Rollstuhl hinaus, Balanceübungen wie im Ballett.
Bewegliche Bilderreihen
Unterwegs entdecken sie Spielkarten mit Bildern, die sie den Kindern nahe am Bühnenrand aushändigen. Nun setzen diese die Bilder in Bewegungen um, und alle machen mit. Fünf Bewegungen hintereinander, das kann man sich noch merken. Aber plötzlich steht da eine ganze Bildergeschichte an der Wand! „Ein Scherz“, sagt Ellen, diese lange Choreografie werden nun Gina und Ellen allein tanzen.
Und da steckt nochmal ganz schön Power drin, denn Gina hängt nun in einer Schlaufe am Trapez, Ellen in einer weiteren unter ihr. Sie machen Spagat und andere Figuren wie aus dem klassischen Ballett, hängen mal kopfüber am Faden wie Spiderwomen oder stemmen spiegelbildlich ihre Füße gegeneinander wie auf einer Spielkarte. Sie kommen auch ganz schön ins Drehen dabei, dann sieht das aus wie eine Pirouette ohne Bodenkontakt, oder kopfüber dicht überm Boden wie ein Headspin beim Breakdance. Da bleibt wohl keiner unbeeindruckt von dieser Superpower.
Parallel gibt Manfred Wildhage Erläuterungen für alle und Beschreibungen für Blinde, was dank seiner Stimme sehr schön beruhigend wirkt. Bei diesem Stück dürfen sich alle wohl- und mitgenommen fühlen. Echt eindrucksvoll.