Foto: "Usher" an der Staatsoper Berlin. Ruth Rosenfeld (Lady Madeline), Dominic Kraemer (Le Médecin) und Marit Strindlund (Musikalische Leitung) © Martin Argyroglo
Text:Matthias Nöther, am 13. Oktober 2018
Eine letzte kleine Feier des Claude-Debussy-Jahres 2018 ist die Produktion „Usher“ im Alten Orchesterprobensaal der Staatsoper Unter den Linden. Debussy hinterließ ein Opernfragment nach dem Horrorstoff von Edgar Allen Poes „Fall des Hauses Usher“ aus dem Jahr 1839. Es war der literaturhistorische Zeitpunkt, an welchem das schlechthin Unsagbare der Romantik ins bloß noch Gruselige kippte. Deshalb hat sich auch keiner der hehren musikalischen Romantiker jemals für Poe interessiert. – Weshalb also interessierte sich Debussy, der revolutionäre Klangzauberer der klassischen Moderne und Zäuneeinreißer des musikalischen Abendlands dafür?
Annelies Van Parys, ebenfalls Komponistin, liefert an dem Abend auf der Studiobühne der Staatsoper einige Erklärungen für Debussys Interesse. Dieser konnte nicht nur wohlige Klangwolken produzieren, sondern auch zischen und schaben. Natürlich hat der Hörer nie letzte Gewissheit, welche Klänge in der Kammer-Abordnung der Staatskapelle von Van Parys sind und welche tatsächlich von Debussy, doch die musikalische Dichtheit dieser Studie über die wollüstige Angst des todessüchtigen Roderick Usher, sie überzeugt von Anfang an. Die drückende Klangwolke aus Tuba und den Streichern mit ihren lastenden Liegetönen umgibt die Zuschauer hier oft. Es ist, als ob die staubgraue flauschige Auslegeware auf dem Boden dieses betont läppischen Wohnzimmer-Settings sich in ein Monster aus Musik verwandelt hätte.
Überhaupt gelingt es dem Regisseur und Bühnenbildner Philippe Quesne, in dem intimen, kaum atmosphärisch schwingenden Raum ein aktuelles Horrorszenario zu entwickeln, das Edgar Allen Poes Spukschloss mit aktueller Relevanz begegnet. Das Einkapseln von Porno- und Horrorkonsumenten in energetisch gedämmten Eigenheimen ist heute eher Ursache von Psychosen als Grusel in zugigen Gemäuern.
Doch „Usher“ wird kein musiktheatraler Stephen-King-Verschnitt. Oder zumindest nur selten. Das liegt vor allem an den brillanten Sängerdarstellern. Die untote Lady Madeline, Rodericks noch als Leiche Schuldgefühle erzeugende Schwester, wird von der klangschön singenden Sopranistin Ruth Rosenfeld so suggestiv entseelt, dass man als Zuschauer Horror und Oper in nie gekannter Einheit erlebt. Roderick selbst ruft vor allem durch die Bassstimme David Oštreks den Grusel hervor – eine machtvolle Stimme, die den kleinen Raum stetig zu sprengen scheint. Auch der Tenor Dominic Kraemer in der Rolle des fiesen Arztes und der Bariton Martin Gerke als Freund des Hauses tragen zur musikalischen und szenischen Spannung des Abends bei – wiewohl sie in den Plot schon bei Poe nur durch die Verlegenheit geraten sind, dass man außer dem reinen Horror auch noch irgendwie eine dramatische Geschichte erzählen muss.
Es ist eine Wucht, wie die Dirigentin Marit Strindlund mit dem kleinen Orchester das Fernsehzimmer mit der angstvollen Couchtomate Roderick Usher in der Mitte zum Vibrieren bringt. Und die Komponistin Van Parys hat Spaß daran, Debussys noble Klangfantasie mit einer mehr und mehr ins Nervtötende driftenden Behandlung der Instrumente zu übersteuern.