Manhattan-Projekt Wien Akademietheater

Hampelmänner im Hamsterrad

Stefano Massini: Manhattan Project

Theater:Akademietheater Wien, Premiere:07.11.2024 (UA)Regie:Stefan Bachmann

Mit der Uraufführung von Stefano Massinis „Manhattan Project“ am Wiener Akademietheater zeigt Stefan Bachmann seine erste Inszenierung als neuer Intendant des Burgtheaters. Durch allzu oberflächliche Bebilderung scheitert er an Massinis ebenso langatmig wie dialogarmem Stück über den Bau der ersten Atombombe.

Nebelschwaden kriechen durch die vier Speichen einer Art riesigen, vergitterten Hamsterrads. Mit großer Mühe versuchen darin vier Männer das Gleichgewicht zu halten, während sich das meterhohe Gebilde wie ein Teilchenbeschleuniger zu drehen beginnt. Verzweifelt krallt sich außen am Gitter ein Mann fest. Panisch starrt er von der Rampe ins Publikum wie in einen Abgrund. Er blickt gleichsam in die von Hitler entfachten Gräuel des Zweiten Weltkriegs und gleichzeitig in die Zukunft atomarer Verwüstung.

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Das Manhattan-Projekt

Dieser Mann mit zerzaustem Haar und Hosenträgern ist niemand Geringerer als J. Robert Oppenheimer, der 1942 von der amerikanischen Regierung mit der Leitung des streng geheimen Manhattan-Projekts beauftragt wurde. Einem Forschungsprojekt einer Heerschar führender Physiker*innen, Chemiker*innen und Ingenieur*innen zur Entwicklung der ersten Atombombe, bei dem Oppenheimer das letzte Wort haben sollte. Und er zaudert. „Ist die Bombe Physik oder nur ein Traum?“, fragt Max Simonischek ins Publikum. Entspringt sie lediglich den Emotionen jener aus Ungarn geflüchteten, jüdischen Physiker, die ihm nun zu viert über die Schulter schauen, oder stellt sie eine Notwendigkeit dar, um den Frieden in der Welt mittels atomarer Drohgebärde gleichsam zu erzwingen?

Manhattan Project Akademietheater Wien

Max Simonischek (Robert Oppenheimer). Foto: Tommy Hetze

Als theoretischer Physiker soeben noch souverän argumentierend, setzt er nun – zunehmend bewegt – das Gebilde hinter sich in Rotation, greift gleichsam in die Speichen des Zeitrads und erinnert sich: Seit seiner Kindheit sei er auf der Suche nach der „physikalischen Formel des Schmerzes“, seit jeher treibe ihn die Logik an. Mit wohl dosierten Gesten und inwendigem Blick, ganz sachte, doch umso dringlicher entfaltet Simonischek aus dem Inneren der Sprache seine zunehmend plastischer werdende Figur. Es entsteht die Gestalt eines untröstlich Suchenden, aus dem für Momente der kleine Junge hervorblitzt, während man ihm beim mitfühlenden Denken zusieht.

Das semidokumentierende Theater

Es ist dies einer der wenigen Momente in Stefan Bachmanns dreistündiger Uraufführung von Stefano Massinis „Manhattan Project“ am Wiener Akademietheater, der wirklich berührt und dadurch zugleich die eigene Reflexion anregt. Und das ist erstaunlich. Denn das Problem atomarer Aufrüstung und Drohgebärden, 2023 durch Christopher Nolans Oscar-prämiiertes Biopic „Oppenheimer“ in Erinnerung gebracht, scheint dieser Tage aktueller denn je. Doch die Brisanz des Themas erstickt bereits auf der semidokumentarischen Textebene, deren Schwächen Bachmanns statisches Konzept nur verstärkte.

Der 1975 in Florenz geborene Stefano Massini erzählt in „Manhattan Project“ die Geschichte des gleichnamigen Forschungsprojekts aus den Perspektiven von vier aus Ungarn vor den Nazis nach New York geflohenen Physikern. Dabei wechseln Thiemo Strutzenberger (Léo Szilárd), Felix Rech (Jenö Wigner), Markus Meyer (Ed Teller) und Justus Maier (Paul Erdös) ständig zwischen der Rolle des Erzählers und ihren Figuren. In seiner episch-retardierenden Bühnenerzählung schafft Massini allzu holzschnittartige Figuren, deren Oberflächlichkeit Stefan Bachmann durch überzeichnende Gesten nur hervorhebt. Die besten Physiker ihrer Zeit schrumpfen bei ihm zu Hampelmännern im Hamsterrad, wo sie taumelnd Halt suchen oder pantomimisch rauchend posieren, ausstaffiert mit Hüten und Anzügen der 1940er Jahre (Kostüme: Barbara Drosihn).

Dunkle Geschichte und Film-Ästhetik

Bereits bei der deutschsprachigen Erstaufführung von Massinis Erfolgsstück „Lehman Brothers“ 2015 in Dresden verteilte Stefan Bachmann den Text auf ein siebenköpfiges Männerensemble, das auch mal weibliche Nebenrollen übernimmt. Und bereits damals dominierte metaphorisch ein rotierendes Rad (mit drei Hämmern als Speichen) die Bühne von Olaf Altmann. Aber anders als die Banker-Saga tauchte Altmann in Wien Massinis Text über die Entwicklung der Atombombe im Wettlauf mit den Nazis in das Licht-und-Schatten-Spiel der Film-Noir-Ästhetik. Doch anstatt Suspense zu erzeugen, blieb die szenisch eindimensionale Inszenierung lediglich dekorativ an der Oberfläche der düsteren Historie.