Musikalisch ist „La fida ninfa“, uraufgeführt am 6. Januar 1732 am Teatro Filarmonico in Verona, in der Tat eine von Vivaldis komplexesten und virtuosesten Opern. Und der Text des vielseitigen Veroneser Gelehrten und Vielschreibers Scipio Mattei (seine gesammelten Werke füllen 28 Bände) lässt gängige Klischees und dramaturgische Sequenzen abschnurren wie ein Uhrwerk. Wie gesagt: Hier waltet Könnerschaft. Aber mehr auch nicht. Mit den Figuren des Schäfers Narete und der beiden Nymphen-Schwestern Licori und Elpina zitiert Mattei die Arkadien-Mode seiner Zeit. Und entsprechend dem Urmodell dieser Art Schäferdichtung, dem Roman „Daphnis und Chloe“ des spätantiken Autors Longos, montiert er Schäfer-Motive und Piraten-Räuberpistole (ohne die würde es schnell langweilig in Arkadien) ziemlich locker ineinander.
Den Gegensatz dieser beiden Welten entstellt der Regensburger Regisseur Johannes Pölzgutter gekonnt zur Kenntlichkeit: Aus dem Oberpiraten Oralto wird hier ein moderner Menschenhändler, der seine Gefangenen in einem rohen Backstein-Verlies hält und gelegentlich für sexuelle Dienstleistungen der perverseren Sorte vermietet. Seltsamerweise findet sich unter dem hier gestapelten sonstigen Diebesgut aber auch ein Bilderbuch mit herzallerliebsten Schwarz-Weiß-Aufklappbildchen, die den Verschleppten arkadischen Trost spenden in ihrem Jammer. Und was meinen Sie wohl, wie das Buch heißt? Genau: „La fida ninfa“. Und so springt denn die Handlung hin und her zwischen realistischer Keller-Tristesse und artifizieller Schäfchenkuschel-Idylle mit hübsch gemalten Bilderbuch-Kulissen; und spätestens, wenn zum lieto fine die rettende Juno als barocke Fanatsy-Queen den dicken blauen Eolo um die milden Winde bittet, hat Pölzgutters Weg durch Arkadien die Abzweigung zum Comic genommen. Das alles erklärt natürlich gar nichts, ist aber als szenische Achterbahnfahrt zwischen den beiden Welten sehr unterhaltsam und funktioniert als Kulisse der Bravour-Arien bestens.
Dass die Protagonisten vom Theater Regensburg sich bei alledem mit bemerkenswertem Erfolg um den nötigen Barock-Appeal bemühen, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von Sorgfalt. Als Gast-Kapellmeister des Orchesters hat man Christoph Heim hinzugezogen, vielerfahren in etlichen Spezialensembles und Fachmann für Barockvioline, und so exzelliert das klein besetzte Orchester mit schlankem Ton, atmender Tongebung und rhythmischer Pointierung. Dass es nicht alle Tage exzelliert, war in meiner zweiten Vorstellung allerdings kaum zu überhören. Hoch loben muss man dennoch den Dirigenten Tom Woods, der es fertigbrachte, Vivaldis in den Koloraturen ziemlich instrumental geführte Vokalpartien eine Tempogestaltung zu verpassen, in der die Regensburger Sänger ohne Schnappatmung das Ihre tun und sich dabei sogar noch mit Ruhm bekleckern konnten. Bei Theodora Varga (in meiner Vorstellung als Zweitbesetzung die hochmusikalisch singende Licori), Vera Semieniuk (Elpina), Brent L. Damkier (Narete) oder Johannes Mooser (Oralto) war der kleine Ton die große Devise des Abends, die geschmackvoll beherzigt wurde, auch wenn nicht jeder die Kunst beherrschte, mit kleiner Stimme dennoch pointiert zu artikulieren. Da leierte dann auch mal einiges ein bisschen. Aber auf hohem Niveau.
Aufmerksamkeit erregte freilich der Sopranist Onur Abaci in der Rolle des etwas liederlichen Osmino mit betörend aufleuchtender Höhe. Und noch mehr Aufmerksamkeit eroberte sich, und zwar völlig zu Recht, die noch sehr junge Sopranistin Sara-Maria Saalmann. Seit dem Sommer 2018 hat sie in Regensburg ihr erstes Festengagement überhaupt, und in der Kastraten-Partie des Morasto zeigte sie nun eine Koloraturbravour, die Gott sei Dank nicht ihr selbst, sehr wohl aber den Zuschauern den Atem verschlug. Da war in den gnadenlos durch Höhen und Tiefen sich windenden Sechzehntel-Ketten wirklich jeder Ton noch geformt, die Tonkaskaden hatten elastischen Drive, und, fast am erstaunlichsten: Im Lyrischen hat diese Stimme dann plötzlich eine interessante, herbe Farbe und viel, viel Seele. Am Ende große Begeisterung.