Foto: Treffpunkt Schultoilette: Lea Beie, Viola Müller, Dario Neumann, Constantin Petry in "Fuckfisch" © Felix Grünschloß
Text:Manfred Jahnke, am 27. Januar 2019
Mit vierzehn schrieb Juliette Favre ihren ersten Roman. Veröffentlicht wurde er, als sie fünfzehn war. Nun, etwa fünf Jahre später, schrieb sie für das Junge Staatstheater Karlsruhe eine dramatische Fassung ihres Erstlings. In den Geschichten von jungen Menschen, die ihre Sexualität entdecken und beginnen auszuleben, geht es um die Ausbeutung der Sehnsucht nach großer Liebe durch junge Männer und der Suche nach weiblicher Identität. Denn „Fuckfisch“ wird aus der Perspektive von Vicky erzählt, die in Steve verliebt ist, der hat sie aber, nachdem sie mit ihm geschlafen hat, verlassen und macht sich nun an ihre Freundinnen ran. Sie versucht es nun mit Jo – und muss die gleiche Erfahrung machen. Dann verliert Steve einen Zettel, auf dem die Jungs ihre Erfolge bei den Mädchen und die nächsten Kandidatinnen auflisten. Vicky und ihre Freundinnen, die es gleichermaßen getroffen hat, fordern Anstand und Würde ein, aber Steve und Jo lachen nur – und dann hagelt es Tritte gegen die Eier…
So, wie die Autorin selbst eine spannende Theaterfassung geschaffen hat, die rasant die Handlung erzählt, so entwickelt auch Regisseurin Swaantje Lena Kleff ein hohes Spieltempo in einer hektisch-lauten Welt. Videos, die Vicky, Clara oder Elli mit Steve fummelnd zeigen, oder eine überbordende Discoparty im Stil der 70er begleiten das Spiel auf der Bühne, Discomusik wummert und Geräusche wie peitschendes Knallen gliedern die Szenen (Sounddesign: Ludwig Müller). Darüber hinaus ist per Band die Stimme von Favre zu hören, die bei Handlungssprüngen kurze Ansagen macht. Ausstatterin Friederike Lettow hat eine Bühne mit verschiedenen Orten geschaffen. Dominierend wirken die vier Schultoiletten im mittleren Hintergrund, Schwingtüren, mit Graffiti voll dekoriert, der Ort, an den sich die vier Spielerinnen und Spieler zurückziehen, sich umziehen oder in die Klobecken hinein kotzen können. Vorne rechts lümmelt sich Vicky auf einer Coach, hinter ihr läuft ein Podest entlang der Wand. Links steht ein sich spiegelndes Podest, darüber eine Konstruktion aus sechs Spiegeln, in denen vor allen Dingen Steve gerne post.
Obschon der Raum klar gegliedert ist, die Handlungen über die Ansagen der Autorin vom Band strukturiert werden sowie durch minimale Veränderungen in den Kostümen, sind die einzelnen Rollen schwer zu unterscheiden. Das betrifft weniger Viola Müller als Vicky, die sich sympathisch durch die Handlung wuselt und glaubhaft ihre Frustration und ihre Empörung ausspielt, wie auch die Sehnsucht nach Liebe, die nicht nur auf Sex hinaus will. Auch Constantin Petry spielt den Steve als wunderbaren Fiesling, eitel-egozentrisch, der aber hinter der Fassade der Selbstsicherheit spüren lässt, wie labil die Konstruktion des Selbstbildes ist. Lea Beie hat die Freundinnen zu spielen, allerdings unterscheiden sich Clara und Elli im Spiel wenig voneinander, was im Text angelegt ist: Eigentlich bleiben sie reine Zuträgerinnen, die das Gleiche wie Vicky erleben. Beie gelingen dabei anrührende Momente, wenn sie sich gegen den Egozentrismus von Vicky wehrt, die im Laufe der Handlung diese Züge immer mehr ablegt. Dario Neumann spielt das Brüderpaar Jo und Patrick. Während Jo, der zur Clique von Steve gehört, ein ständig unter Alkohol stehender Fiesling ist, der auch vor Vergewaltigung nicht zurückschreckt, entwickelt Neumann als Patrick ganz weiche Züge. In der lauten Inszenierung von Kleff spielen Viola Müller und Dario Neumann zwei wunderbar leise Szenen, die zum Zentrum der Aufführung werden.